: Ronnie Bresich
: Sieben Tage Sommer. Thriller
: Verlagshaus Hernals
: 9783903442276
: 1
: CHF 6.20
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 274
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Ein Luxushotel hoch oben auf einer griechischen Vulkaninsel. Weiße Häuser. Tiefblaues Meer. Schwarze Strände. Für sieben handverlesene Gäste erfüllt sich dieser Urlaubstraum. Bis eines Morgens eine Leiche im Pool treibt und sich die Abgeschiedenheit als tödliche Falle entpuppt.
Wenn jeder der Mörder sein kann– wem kannst du dann noch vertrauen?

– 1 –

33 000 FUSS ÜBER DEM ÄGÄISCHEN MEER

Das Dröhnen der Triebwerke erinnerte Nina Schneider an ein Sommergewitter – eines von der Art, bei dem man besser zu Hause blieb. Und das nervige Säuseln aus den Luftdüsen machte es sogar noch schlimmer. Als Krönung konnte aber das rotierende Gefühl in der Magengegend herhalten.

Nina hasste das Fliegen. Und nicht einmal der Blick aus dem Bullauge der Boeing 737 hinab auf das tiefblaue Meer konnte sie beruhigen.

Wenigstens zeichnete sich ein baldiges Ende des Bangens ab: Landung in fünfundzwanzig Minuten am Santorini-Airport, so die knirschende Durchsage des Kapitäns. Trockene fünfunddreißig Grad, keine Wolken, leichter Südwestwind. Mit anderen Worten: Saharahitze.

Nina griff zu dem billigen Becher auf dem Tablett. Der Prosecco schmeckte ekelig nach Plastik. Sie trank ihn trotzdem bis zum letzten Tropfen.

Ein kleines Mädchen mit Pippi Langstrumpf-Zöpfchen hüpfte den Mittelgang entlang. Bei der Reihe vor Nina stolperte es unglücklich und fiel der Nase nach auf den Teppich.

Nina löste ihren Gurt und zwängte sich an ihrer Sitznachbarin vorbei, um der Kleinen zu helfen.

„Hast du dich verletzt?“

Verheulte, wasserblaue Augen. In ihnen mehr Erschrecken als echte Schmerzen.

„Wie heißt du denn, Prinzessin?“

Sie brabbelte etwas, das an Olivia erinnerte.

„Was für ein wunderschöner Name!“

Der Gesichtsausdruck der Kleinen entspannte sich.

„Soll ich dir aufhelfen?“

Sie nickte verlegen.

Eine Frau aus der letzten Reihe stürmte heran. Dem wütenden Gesichtsausdruck nach die Mutter. Roh schnappte sie die zarte Kinderhand, schimpfte dabei abfällig. Und Olivia schossen wieder die Tränen in die Augen.

Nina hielt der Kleinen ihren Lippenstift hin.

„Sieh mal, willst du den hier haben?“

Ein zaghaftes Lächeln als sie ihr den silbernen Stift in die winzige Hand drückte. Dann zog die Mutter sie endgültig weg. Widerstand zwecklos.

Manche Leute sollten wirklich keine Kinder haben. Aber einmischen wollte sich Nina freilich auch nicht, dazu war sie einfach zu zurückhaltend. Zur Ablenkung wandte sich Nina ihrer Freundin auf dem Nebensitz zu.

„Wie heißt unser Hotel noch mal, Rebecca?“

Die Dunkelblonde sah von der Klatschzeitung auf. Auf der Nase thronte eine Sonnenbrille mit nachtschwarzen Gläsern. Rebecca nahm das Ding so gut wie nie ab. Verlieh ihr den edlen Touch von Grace Kelly, angeblich.

„Volcano Luxury Villas. Und es ist kein Hotel, meine liebe Nina, es ist ein richtiger Traum!“, schwärmte sie.

„Die Fotos auf der Homepage – absolut einzigartig! Eine Handvoll stilsicherer Appartements, jedes mit atemberaubendem Meerblick direkt auf den Vulkan. Es gibt nichts Vergleichbares! Nicht umsonst ist die Promidichte dort heiße hundert Prozent!“

Rebecca griff nach ihrem Proseccobecher. Trocken wie eine Saharadüne.

„Stewardess!“

Demonstrativ streckte sie den leeren Becher hoch.

Eine Frau in zu knapper roter Uniform stöckelte durch den engen Gang. Präsentierte dabei das 08/15-Standardlächeln, speziell für Querulanten eingeübt. Und davon gab es wirklich auf jedem Flug welche.

Rebecca drückte ihr kaltschnäuzig ihren Becher – und dazu gleich auch noch den von Nina – in die Hand.

„Noch zwei, aber nicht mehr diesen billigen Fusel! Bringen Sie uns richtigen Champagner!“

„Aber wir landen in zwanzig Minuten …“

„Hören Sie mir mal zu, Schätzchen. Ich verstehe durchaus, dass Ihnen Gott statt einem Funken Verstand dieses dämliche Lächeln und ein pralles Dekolleté geschenkt hat. Und ich versprechen Ihnen, er wird Ihnen diese Geschenke spätestens in zehn Jahren wieder abknüpfen. Aber das hier ist ein wirklicher Notfall: Meine Freundin hat einen Drink bitter nötig! Und ich übrigens auch.“

Der jungen Stewardess fror das Lächeln ein. Ohne weiteren Widerspruch kämpfte sie sich zwischen den Sitzreihen nach hinten zur Küche.

Nina schien das gar nicht richtig mitzubekommen.

„Hätte nicht ein normales Hotel gereicht? Ich meine, irgendwo in Südtirol oder an der Adria. Das wäre nett gewesen! Und wir wären mit dem Auto hingekommen. Ich glaube auch nicht, dass ich mich unter den vielen Promis wohlfühlen werde. Wir beide sind nämlich keine Promis.“

„Nina, Nina“, seufzte Rebecca gut gespielt, „meine letzte Fotoserie war im Playboy. Zwar nur in der rumänischen Ausgabe, aber, hallo, es war der Playboy! Und die Models waren nicht mal annähernd in der höchsten Liga. Eine sogar scharfe Anwärterin auf den Hässlichen- Entlein-Look-a-Like-Preis. Und dann erst dieser nackte Schwergewichtsboxer auf der Titelseite von Sports Illustrated! Prächtiger Arsch! Nicht schlecht für eine kleine Hobbyfotografin, was?“

Aus Rebeccas Augen funkelte Stolz. Und auch ein wenig Überheblichkeit.

„Ich bin jedenfalls nicht prominent“, meinte Nina.

„Aber hör mal prominent sein, das ist doch relativ! Du machst diesen Job in der Zeitungsredaktion, hast deine wöchentliche Kolumne und Google spuckt bei deinem Namen glatt dreihundert Treffer aus! Nicht zu vergessen: eine Unmenge Freunde auf Facebook!“

„Von denen ich die meisten noch nie gesehen habe. Ein paar sind zudem wirklich seltsam“, kommentierte Nina. Besonders der Typ mit der Mickey Mouse-Unterhose auf dem Kopf. Wo anders fehlte das Ding freilich.

„Darauf kommt es doch nicht an! Auch wenn du mit deinen Maroni-Locken und den Sommersprossen wie das nette Mädchen von nebenan aussiehst, brauchst du nicht immer dein Licht unter den Scheffel zu stellen! Du musst nur genug haben, um vorgeben zu können, dass du jemand bist. Und weil du hart arbeitest, hast du auch legitime Bedürfnisse, meine Liebe!“

Nicht schon wieder Rebeccas Lieblingsthema.

Nina setzte einen betont unschuldigen Blick auf.

„Tu nicht so ahnungslos! Du weißt genau, was ich meine! Es ist wie bei den Männern: Einfach nur irgendwie nett sein, das reicht längst nicht mehr. Immerhin sind wir keine Studentinnen mehr, die mit jedem Dahergelaufenen ins Bett springen. Wir wissen schon, wie es geht“, schmunzelte Rebecca. „Was wir brauchen, sind superinteressante und fantasievolle Kerle, die ohne lange Erklärung wissen, wie man mit einer Frau umgeht! Und mit Hotels ist es genau das Gleiche.“

Beim Stichwort Männer schossen Nina aber sofort wieder die trüben Gedanken in den Kopf, die sie eigentlich zu Hause zurücklassen wollte.

Tom.

Letztes Jahr hatten sie geheiratet, heuer wollten sie ein Baby bekommen.

Und nun war sie wieder bei null. Nein, schlimmer als bei null. Eine Frau Mitte dreißig, die unbedingt noch Kinder wollte, war nicht gerade der Renner am Heiratsmarkt.

„Ich brauche keinen neuen Mann“, erwiderte Nina kleinlaut.

„Ah, warte, lass mich mal zurückspulen: dein dir angetrauter Ehemann mit dieser semmelblond gefärbten Schlampe indeinem Ehebett. Wie hat er das nochmal erklärt?“

Rebecca verfiel in eine brummige Männerstimme: „Babe, ich war so besoffen, dass ich eine Stunde lang vergessen habe, dass ich mit dir verheiratet bin. Bitte verzeih mir! Bitte, bitte, bitte!“

Sie lachte so laut, dass sich die Frau vor ihnen pikiert umdrehte. Aber Rebecca kümmerte so etwas nicht.

„Der war gut – echt gut!“, lästerte sie stattdessen. „Oh Mann, oh Mann, du musste es endlich kapieren: Der Kerl war ein Loser und ein Arschloch. Und Männer, die Loser und Arschlöcher sind, findest du an jeder Straßenecke.“

Ninas saß mit versteinerter Miene da und starrte stumm auf die Rückenlehne. Der Schriftzug der Airline, knallrot wie ein Alarmsignal. Ihre Augen wurden wässrig. Das fiel sogar ihrer sonst so hartgesottenen Freundin auf.

Mit einem Mal ruderte Rebecca dann doch wieder zurück.

„Tut mir leid, Kleines. Ich wollte dich eigentlich nicht wieder daran erinnern. Ich meine nur, du hast wirklich einen besseren Kerl verdient. Und nach alldem würde dir jetzt so ein wenig Dolcefarniente und Farbe im Gesicht auch sicher nicht schaden.“

Rebecca trocknete ihr die Tränen mit der Papierserviette ab und tätschelte fürsorglich ihre Hand. Wie eine große Schwester, die Nina sich sogar noch als Zwölfjährige gewünscht, aber nie bekommen hatte.

„Sieh mal, Kleines, dieser tolle Urlaub wird dich wirklich ablenken. Das ist nicht so, wie diese 08/15-All-Inklusive-Geschichten in Hurghada, Bodrum oder Hammamet, wo die Zimmer nie wirklich sauber sind und das Essen jeden Tag der gleiche eintönige Fraß ist. Ich garantiere dir: Dort, wo wir jetzt hinfahren, werden dich keine Sonnenbrillenverkäufer nerven und nachts werden auch keine streunenden Hunde in den Pool pinkeln! Das Beste kommt aber noch: Du musst dir die nächsten sieben Tage keine fetten Männer in Tigertangahöschen ansehen! Und dann...