: Julia Solska
: Als ich im Krieg erwachte Tagebuch einer Flucht aus der Ukraine
: Edel Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
: 9783841908353
: 1
: CHF 10.30
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 192
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wie ihre Landsleute nahm Julia Solska Russland zwar als permanente Bedrohung für die Ukraine wahr. Aber dass Wladimir Putin ihre Heimat überfallen und mit einem brutalen Krieg überziehen würde, hätte sie niemals gedacht - bis sie am 24. Februar 2022 in ihrer Kiewer Wohnung von Bombenexplosionen geweckt wurde und die Menschen um sie herum in Panik erlebte. Wie Millionen andere Ukrainer entschloss sie sich zur Flucht, die sie nach einer längeren Odyssee nach Deutschland führte. In ihrem Tagebuch erzählt sie eindrucksvoll, wie es ist, wenn sich ein Leben von - im wahrsten Sinne des Wortes - heute auf morgen verändert und ein Mensch mit Todesängsten klarkommen muss. Julia Solska lebte vier Jahre lang in Deutschland, ehe sie 2018 in ihre Heimat zurückkehrte. Sie hatte in Kiew alles, was sie für ein glückliches Leben brauchte. Die Veröffentlichung ihres Tagebuchs ist ihr Herzenswunsch und ein politisches Statement, das sie mit 44 Millionen Landsleuten teilt: 'Ich will nicht in Russland leben, sondern in der Ukraine!'

Julia Solska, geboren 1989, kam kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Vorzel, einer Kleinstadt nahe Kiew, zu Welt. Sie studierte Germanistik in Kiew und Bochum. In ihrer Heimat, der Ukraine, arbeitete Julia zuletzt in einem IT-Unternehmen. Sie spricht fließend Deutsch und fotografiert. 

Kiew im Frieden. © Maksym Stelmakh

Krieg! Ein böses Wort, das für sinnlosen Tod, sinnloses Leiden und sinnlose Zerstörung steht, für Flucht und Vertreibung, Tragödien und Traumata – einfach für all das, was die Menschheit nicht braucht, was kein Normalsterblicher jemals erleben will und sollte. Aber das Schicksal schlägt ja bekanntlich am liebsten dann besonders hart zu, wenn man nicht damit rechnet. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe ihn erlebt, den Tag, an dem ich im Krieg erwachte, sich mein Leben wie das der anderen 41 Millionen Ukrainer innerhalb weniger Minuten kolossal änderte.

Es waren Geräusche, die ich vorher noch nie gehört hatte – woher auch? –, die mich in meiner Kiewer Wohnung aus dem Schlaf rissen und alsbald zur Flucht zwangen. Dumpfe Geräusche, ein merkwürdiges Grollen und Krachen, als käme es von tief unten aus der Erde. Bald wusste ich, dass es die Hölle war.

Ich war krank, hatte Fieber, 38,5 Grad, schlief wieder ein, bis mein Freund mich nach wenigen Minuten weckte und sagte: „Steh auf, es hat begonnen.“ Ich hatte Angst, riesige Angst, und war froh, dass mein Freund da war – und mein Kater Fran, der friedlich wie immer auf dem Sofa heia machte. Ein bisschen beneidete ich ihn für die Gabe, die Gefahr und den Lärm der Bomben zu ignorieren und seelenruhig weiterzuschlummern, als wäre die Welt von heute noch die von gestern. Ich stand auf und befand mich in einer neuen Zeitrechnung: Der erste Eroberungskrieg in Europa seit 1945 hatte begonnen. Ich hatte nie einen russischen Angriff auf die gesamte Ukraine erwartet. Aber das laute Krachen der Explosionen war nun mal da, keine Einbildung, sondern ein lebendig gewordener Horrorfilm.

Noch tags zuvor war alles so wie immer, wie ich Kiew kannte, diese freundliche und weltoffene Stadt, in der ich gerne lebte und hoffentlich bald wieder lebe. Die Angst vor einem großen Krieg schwebte stets wie ein Fallbeil über uns. Es hing seit vielen Jahren dort. Wir schauten nur einfach nicht mehr nach oben, um nachzusehen, ob es noch da ist. Wir hatten uns an das Dasein unter der Guillotine gewöhnt – der Mensch ist ja bekanntlich ein Gewohnheitstier, das die hohe Kunst des Verdrängens beherrscht, damit es alles Tragische und Böse besser aushält.

In Wahrheit hatte der Krieg längst begonnen. Putin hatte ihn wie ein Krebsgeschwür in die Ukraine eingepflanzt und wuchern lassen. Er besetzte die Krim, annektierte sie im März 2014 und ließ sich dafür von seinem Volk bejubeln, während der Westen Sanktionen verhängte, über die im Kreml gelacht wurde, so lausig waren sie. Später griff Putin militärisch im Donbass ein, unterstützte die Separatisten, die die Ukraine spalten und uns als Volk vernichten wollen. Wir wussten, dass es passieren wird. Aber wir haben nicht wirklich daran geglaubt, dass Putin das ganze Land überfällt. Oder besser gesagt: Wir wollten nicht daran glauben.

Russland war für uns immer weit weg und so egal, wie es nur irgend geht. Wir, das ukrainische Volk, haben – anders als unsere Politiker – Putin zu wenig ernst genommen: Trotz seiner ewigen Hetze gegen die Ukraine und der absurden Propaganda von den „Drogensüchtigen“ und „Nazis“ in der Kiewer Regierung. Es war so lächerlich, das konnte doch niemand glauben, der ein wenig Verstand hat.

Eine Woche vor dem Einmarsch der Russen hörte ich zum ersten Mal von Plänen Putins, die Ukraine anzugreifen. Spannung lag in der Luft. Ich hielt es allerdings für psychologische Kriegsführung, Präsident Selenskyj unter Druck zu setzen. Aber die Vorstellung, dass russische Panzer durch ukrainische Städte fahren würden,