: Ming-Yi Wu
: Der Mann mit den Facettenaugen
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783751800815
: 1
: CHF 14.30
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 260
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wandelnde Bäume, wundersame Schmetterlinge, Rehe, die sich in Ziegen verwandeln, und eine Katze, die ein unaussprechliches Geheimnis birgt: Wu Ming-Yi hat mit Der Mann mit den Facettenaugen eine faszinierende Romanwelt geschaffen, in der Klimakollaps, indigene Mythen, Identität und existenzielle Gefühle den Hintergrund für eine vielschichtige und raffinierte Erzählung bilden. Darin begegnen sich die lebensmüde Akademikerin Alice und der in den Tod verstoßene Indigene Atile'i, nur um sich wieder zu verlieren. Die Welt wird sich in der Zwischenzeit radikal verändern. Visionäre Fantastik und harten Realismus verbindet Wu Ming-Yi auf unnachahmliche Weise zu einem literarischen Tsunami, in dem der geheimnisvolle Mann mit den Facettenaugen ein Schicksal vorhersagt, das erst mit dem Buch im Buch, das Alice zu schreiben beginnt, um den Tod ihres Sohnes zu verstehen, in Gang gesetzt wird. In dieser fantastischen Spannung zeigt sich ein hintergru?ndiger, politisch bewusster Roman, der tief in ökologischen Belangen und Fragen indigener Identität verankert ist.

Wu Ming-Yi, 1971 in Taoyuan, Taiwan, geboren, ist Künstler, Umweltaktivist und Professor für Chinesische Literatur in der Dong-Hwa-Nationaluniversität. Seine Romane sind in mehr als zehn Sprachen übersetzt und wurde international mit Preisen ausgezeichnet und u. a. für den Man Booker International Prize nominiert. Wu Ming-Yi lebt in Taipeh. Johannes Fiederling studierte Übersetzen und Dolmetschen in Duisburg, München und Shanghai. Nach siebenjähriger Tätigkeit im Sprachendienst des Auswärtigen Amts widmet er sich seit 2017 hauptberuflich dem Literaturübersetzen. Zuletzt übersetzte er Wang Ting-Kuo, Liu Cixin, und Ruan Guang-Min. Er lebt und arbeitet in seiner Wahlheimat Taiwan.

2. Nacht um Atile’i


Für die Bewohner von Wayowayo war die Welt eine Insel.

Diese Insel lag inmitten eines unermesslich weiten Ozeans, so weit von jedem Kontinent entfernt, dass im kollektiven Gedächtnis der Insulaner zwar noch eine Erinnerung daran lebte, dass vor langer Zeit einmal Weiße auf der Insel angelandet waren, jedoch hatte keiner von ihnen jemals die Insel verlassen, geschweige denn Erzählungen von anderen Landmassen mit nach Hause gebracht. Das Inselvolk der Wayowayo glaubte, dass die ganze Welt aus Meer bestand und dass Kabang (was in ihrer Sprache so viel wie »Gott« bedeutete) diese Insel für sie geschaffen hatte, als hätte er eine winzige Muschelschale in einen großen Wasserbottich gesetzt. Ihre Insel folgte der Strömung des Meeres und das Meer versorgte die Wayowayo mit Nahrung. Allerdings gab es auch Meerestiere, die als Verkörperung Kabangs galten, so zum Beispiel der Asamo, ein schwarz-weiß gestreifter Fisch, den Kabang geschickt hatte, um die Wayowayo zu bespitzeln und auf die Probe zu stellen, daher durfte man ihn keinesfalls essen.

»Wenn du nicht aufpasst und einen Asamo verspeist, dann wachsen dir rund um den Bauchnabel herum Fischschuppen. Du kannst kratzen so viel du willst, du bekommst sie nie wieder weg.« Zum Gehen musste sich der Meereskundige auf einen Walknochen stützen. Doch jeden Tag se