: Madame Nielsen
: Der Welt- und Zeitumfassende ein-Satz
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783751805506
: Fröhliche Wissenschaft
: 1
: CHF 8.00
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: Essays, Feuilleton, Literaturkritik, Interviews
: German
: 120
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
S ch der Fremde aussetzen. Wagen, die und das Fremde zu werden. Und damit sich selber fremd. Riskieren, nie wieder man selbst zu werden. Das zu riskieren, erfordert nicht nur Einsatz - es verlangt auch, sich den ewig misslingenden Versuch einzugestehen, die Form eines Lebens zu wahren, und einen mutigen Satz aus dem eigenen Körper hinaus in das alles umfassende Werk zu unternehmen. Einen Satz, wie ihn der dänische Schriftsteller Claus Beck-Nielsen tat, als er Wohnung, Frau und Kind verließ, ohne Dokumente auf den Straßen Kopenhagens lebte, »namenlose Versuchsperson« der Agentur Beckwerk wurde, sich zu Grabe trug und schließlich als Madame Nielsen wiederauferstand. Aber ob damit ein Endpunkt gesetzt war, ist oder sein wird? »Ich bin nicht Madame Nielsen«, schickt sie ihrer Zürcher Poetikvorlesung prompt voraus und demonstriert damit, dass in einer fortlaufend im Werden begriffenen Existenz immer alles auf dem Spiel steht: Springt man aus sich, aus seinem Sein, muss stets ein ganz neuer, nie gehörter Satz zur Welt kommen und mit ihm und in ihm eine neue, andere Welt in all ihrer Potenzialität und welt- sowie daseinsumfassenden Poetik.

Madame Nielsen, 1963 geboren, ist Autorin, Sängerin, Künstlerin, Performerin. Ihre Romane wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, und sie war mehrfach für den Nordic-Council-Preis nominiert. Performances u. a. in Berlin und Wien. Im Jahr 2020 hielt sie die Zürcher Poetikvorlesung. 

I


Das Leben als Schrift und die Schrift als Lebensform


Das Leben als Werk und das Werk als gelebtes Lebenswerk


Ouvertüre


Meine Poetik ist die Lehre von einem Leben als Schrift und eine Schrift, die das ganze Leben formuliert, weil die Schrift nie aufhört; die Schrift ist mein Leben, das Leben oder meine Lebensform ist meine Schrift, das einegeht in das andere über, bei mir – in meinem Leben und Werk – ist alles Übergang, Grauzone, Kippbild, Verwandlung, ständiges Wandern und Wandeln, nomadisch und nie mit sich selbst identisch, immer wieder sein eigener Anderer.

Und so bin ich nur Schriftstellerin, wenn ich schreibe, nur in dem Moment, wo ich restlos ins Schreiben übergehe und verschwinde und also nicht mehr da bin, bin ich abwesend Schriftstellerin, und so bin ich auch nicht nur Schriftstellerin, ich bin auch Sängerin, Pianistin, Flötistin, Gitarristin, Fotografin, Performerin, Dramatikerin, Haute-Couture-Model, Catwalkerin und Tänzerin, Komponistin, bildende Künstlerin, ästhetisch-politische Aktivistin, Revolution