Da war es wieder, das schleifende Geräusch. Kurze Zeit darauf hörte Claudia Schritte, eigentümlich schleppende Schritte…
Sie richtete sich in ihrem Bett auf und preßte angstvoll zitternd die seidene Steppdecke an sich. Ihre schreckgeweiteten Augen waren auf die gegenüberliegende Wand gerichtet. Würde es sich wiederholen? Die Schritte kamen immer näher…
Da wußte Claudia, was nun geschehen würde! Sie hatte das Schauspiel bereits in den vorausgegangenen Nächten erlebt, in jeder Nacht, seit sie hier war.
Eine unsichtbare Schranktür öffnete sich. Eine schwarzgekleidete, zierliche alte Frau kam wie ein Spuk in ihr Zimmer und blickte Claudia stumm an.
Claudia wollte schreien, wollte aus dem Bett springen und die alte Frau festhalten. Sie wollte sie nach dem Grund ihrer nächtlichen Besuche fragen, doch so mutig sie sonst auch war, sie vermochte sich nicht zu rühren. Claudia saß wie gelähmt da, und der beabsichtigte Schrei erstarb in einem gurgelnden Laut.
»Sie dürfen ihn nicht heiraten«, sagte die alte Frau flüsternd und brach damit zum ersten Mal ihr Schweigen. »Hören Sie, Sie dürfen ihn nicht heiraten! Niemals!« Ihre Stimme hatte einen beschwörenden und zugleich bittenden Klang.
Dann drehte sie sich unvermittelt um und verließ auf diese eigentümliche, Claudia nun schon bekannte schlurfende Weise den Raum.
Claudia wischte sich mit der Hand wie erwachend über die Stirn. Sie mußte geträumt haben!
Ihr Zimmer lag still im silbernen Licht des Mondes da. Es mußte ein Traum gewesen sein! Ein ständig wiederkehrender Traum.
Sie knipste ihre Nachttischlampe an, dann die Deckenbeleuchtung.
Das grelle Licht tat ihr weh, und geblendet schloß sie für einen kurzen Moment die Augen. Dann sprang sie aus dem Bett und lief entschlossen quer durch das große, düstere Zimmer, in dessen eine Wand schwere, dunkle Schränke eingebaut waren.
Verzweifelt riß Claudia die Schubladen und Türen auf, klopfte die Holzvertäfelungen ab. Wo nur war der geheime Durchgang?
Wie auch in den vorausgegangenen Tagen und Nächten waren ihre angestrengten Bemühungen vergebens. Sie konnte ihn nicht finden.
Aber Claudia wollte auch nicht länger in dieser Ungewißheit schweben. Trotz ihrer großen Angst wollte sie diesem Geheimnis nachgehen.
Sie mußte wissen, was es mit diesen unheimlichen nächtlichen Besuchen der alten Dame auf sich hatte. Und vor allem, was sie gesagt hatte, verwirrte Claudia.
Wen sollte sie nicht heiraten? Vor wem hatte die alte Frau sie so nachdrücklich gewarnt?
Claudia schloß vorsichtig ihre Zimmertür auf und spähte hinaus. Der verschachtelte düstere Gang lag menschenleer vor ihr.
Auf Zehenspitzen schlich sie sich in den unverschlossenen Nebenraum, der sich allenfalls durch andere Vorhänge von ihrem eigenen Zimmer unterschied.
Claudia riß die Tür auf. Das Zimmer war leer. Sie zögerte einen kurzen Augenblick, dann machte sie sich entschlossen an den Schranktüren zu schaffen.
Aber auch diese Aktion verlief ergebnislos. Sie entdeckte nichts. Keinerlei Spuren, die auf diese nächtlichen Besuche hinwiesen.
Aber es mußte doch etwas geben. Die alte Frau existierte tatsächlich, sie war kein Gespenst. Und Menschen pflegten im allgemeinen irgendwelche Spuren zu hinterlassen!
Claudia beugte sich in den letzten Schrank hinein, als sie Geräusche an der Tür vernahm. Dann erfolgte ein lautes Räuspern.
Claudia erstarrte. Sie merkte, wie sich ihr Körper mit einer Gänsehaut überzog. Dann gaben ihre Nerven nach. Sie begann laut und anhaltend zu schreien.
Mit wenigen Schritten war jemand bei ihr. Dann sagte eine dunkle, ein wenig heiser klingende Stimme: »Aber Claudia, was machen Sie denn mitten in der Nacht hier?«
Claudias Beine drohten nachzugeben. Doch gleichzeitig schluchzte sie erleichtert auf. Herwig von Freiburg, ihr neuer Arbeitgeber, stand vor ihr.
»Entschuldigen Sie bitte, Herr Graf«, murmelte sie und wollte an ihrem Chef vorbeihuschen, dann plötzlich wurde ihr bewußt, daß sie nicht mehr anhatte als ein kurzes, dünnes Batistnachthemdchen. Aber Graf von Freiburg hielt sie entschlossen zurück.
»Sie dürfen gleich gehen, Claudia«, meinte er, »aber zuerst verraten Sie mir, was Sie zu dieser nächtlichen Stunde hier zu suchen haben.«
Claudia überlegte sich fieberhaft eine Erklärung, doch ihr Schweigen schien ihm zu lange zu dauern.
»Nun?« wiederholte er. Seine Stimme klang schon wesentlich schärfer.
Claudias Gesicht überzog sich mit flammender Röte, als ihr bewußt wurde, in welch peinlicher Situation sie sich nun befand.
Sicherlich glaubte er, sie würde nachts in den Zimmern des Schlosses herumschnüf