: Jürgen Kehrer
: Wilsberg - Sein erster und sein letzter Fall
: Grafit Verlag
: 9783987080005
: 1
: CHF 7.80
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: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 240
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nach 32 Jahren und 21 Fällen: Kultdetektiv Wilsberg ermittelt zum allerletzten Mal! 1989 bekommt der junge Rechtsanwalt Wilsberg die Chance, in einem spektakulären Mordprozess die Verteidigung zu übernehmen: Der Angeklagte Frank Knieriem feuert kurz vor Prozessbeginn seinen bisherigen Verteidiger und Wilsberg springt ein. Die Beweise sind erdrückend, aber mit Unterstützung seiner Freundin Shirin gelingt es Wilsberg wider Erwarten, eine Entlastungszeugin zu finden. Kurz darauf steht in seinem Leben allerdings kein Stein mehr auf dem anderen. Gut dreißig Jahre später trifft Wilsberg, inzwischen ein alternder Privatdetektiv, erneut auf Knieriem - im Zuge einer Geiselnahme. Und sein einstiger Mandant lässt keinen Zweifel daran, dass er mit Wilsberg noch eine Rechnung offen hat ...

Jürgen Kehrer lebt in Münster und Berlin. Er ist der geistige Vater des münsterschen Privatdetektivs Georg Wilsberg, der 1990 in »Und die Toten lässt man ruhen« seinen ersten Auftritt hatte. Seit 1995 ermittelt Wilsberg auch im Fernsehen und gehört inzwischen zu den beliebtesten ZDF-Krimis am Samstagabend.

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Oktober 1989

»Anwaltskanzlei« war ein ziemlich hochtrabender Name für die beiden Räume, die ich hinter dem Ladenlokal einer Biobäckerei an der Hammer Straße gemietet hatte. Es gab noch einen Zugang über den Hof, allerdings musste man dann eine Lagerhalle durchqueren, die der Biobäcker mit ausrangiertem Zeugs vollgestellt hatte.

Daher empfahl ich allen, die mich besuchen wollten, besonders aktuellen und zukünftigen Mandanten, den Weg durch die Bäckerei zu nehmen. Zum beiderseitigen Vorteil. Ich zahlte wegen der ungünstigen Lage eine geringe Miete und die Bäckerei erweiterte ihre Kundschaft. Wer mochte, konnte sich die Wartezeit mit einem Brötchen oder einem der hervorragenden Mandelhörnchen aus dem Backladen verkürzen. Sigi, meine Sekretärin, hatte die Anweisung, unseren Kunden die nebenan erhältlichen Bioprodukte anzupreisen. Einschließlich des fair gehandelten Kaffees, für den ich mit der Bäckerei eine Monatspauschale vereinbart hatte. Das ersparte uns das lästige Kaffeekochen.

Sigis Büro, in dem sie hinter einem der zwei neu angeschafften Atari-ST-Computer – der andere stand in meinem Büro – und einer Telefonanlage thronte, diente gleichzeitig als Wartezimmer. Ein paar aus dem Sperrmüll gefischte Stühle und ein wackliges Tischchen, auf dem die täglichen Ausgaben dertaz, derFrankfurter Rundschau und – für die ganz Hartgesottenen – derWestfälischen Nachrichten lagen, mussten reichen, um meine Mandanten bei Laune zu halten. Allzu anspruchsvoll und damit zahlungskräftig waren sie ohnehin nicht. Ich schlug mich und die Kanzlei mit Rechtsstreitigkeiten durch, die sich fast ausschließlich um Bagatelldelikte drehten. Ein paar Gramm Haschisch zu viel in der Tasche, einen Polizisten bei einer Demo falsch angeguckt, solche Sachen. Es reichte für mich zum Überleben, aber Urlaub fiel bereits unter die Kategorie »entbehrlicher Luxus«.

Ich stellte meinen klapprigen Golf in der Nähe der Josefskirche ab, steckte mir einen Zigarillo an und schlenderte die Hammer Straße entlang. Trotz allem ging es mir mit meiner Entscheidung, mich selbstständig zu machen, ganz gut. Nach dem Jurastudium und der Referendarzeit hatte ich ein paar Jahre in einer großen Kanzlei gearbeitet. Doch der Druck, den Umsatz steigern und mich mit Mandanten abgeben zu müssen, die bei jeder Begegnung den Wunsch nach einem Wannenbad aufkommen ließen, nervte mich von Monat zu Monat mehr. Gleichzeitig verlor die Aussicht, irgendwann in den Kreis der Seniorpartner aufzusteigen und wie sie mit einem protzigen Porsche in der firmeneigenen Tiefgarage zu parken, stetig an Reiz.

Nach drei Jahren hatte ich gekündigt, mit meiner Bank über einen Gründerkredit verhandelt und die Räume in der Bäckerei gemietet. Der Stresspegel sackte von da an erfreulich nach unten, leider parallel mit den Umsatzzahlen. Denn die spektakulären Fälle, von denen ich immer geträumt hatte, blieben Mangelware.

Mein derzeitiges Highlight war ein Prozess gegen Tierversuchsgegner, meine Mandantin eine Soziologiestudentin, die zusammen mit Gleichgesinnten Hunde aus einem Forschungslabor eines Pharmakonzerns entführt oder, wie sie es nannte, befreit hatte. Dummerweise war an den Hunden ein Medikament getestet worden,