: Mithu Sanyal
: Volker Weidermann
: Mithu Sanyal über Emily Brontë
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462310658
: Bücher meines Lebens
: 1
: CHF 16.00
:
: Essays, Feuilleton, Literaturkritik, Interviews
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wie ein Sturm ist das Werk Emily Brontës in das Leben von Mithu Sanyal hineingefegt. Die erste Lektüre des Romans »Sturmhöhe: Wuthering Heights« hatte für die Autorin von »Identitti« lebensprägende, lebensverändernde Kraft.  Mithu Sanyal hat ein mitreißendes Buch über das Leben und Schreiben der weltberühmten englischen Autorin geschrieben, der man zu Lebzeiten mangelnde Weiblichkeit vorwarf und deren Buch als gefährlich galt. Für Sanyal, Tochter einer polnischen Mutter und eines indischen Vaters, war und ist »Sturmhöhe« ein Buch, in dem sie die eigene Fremdheitserfahrung wiederfand, ein Buch, das ihr in ungefähr allen wichtigen Lebensmomenten irgendwie weiterhalf und sie immer begleitet. Beim Sex, beim langweiligsten Urlaub der Welt, bei angeheirateten englischen Verwandten, die sich nach dem Empire zurücksehnen, und beim Planen der Revolution. Denn darum geht es vor allem in diesem Buch: um das Wunder, wie ein mehr als 170 Jahre alter Roman auf alle wesentlichen Fragen von heute zu Gender, Race, Class und Geistern klare, aktuelle, zukunftsweisende Antworten hat. 

Dr. Mithu M. Sanyal, Schriftstellerin Kulturwissenschaftlerin und Journalistin, für WDR, DLF, SWR, Spiegel, Bundeszentrale für politische Bildung, The Guardian, Süddeutsche, Frankfurter Allgemeine, ZEIT, taz, Missy Magazine etc. Sachbücher u.a. »Vulva« (Wagenbach), »Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens« (Nautilus), das mit dem Preis »Geisteswissenschaften international« ausgezeichnet wurde. Ihr Debütroman »Identitti« (Hanser) wurde mit dem Ernst Bloch Preis und dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet und stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.
Inhaltsverzeichnis

»Jemand hat mir mal gesagt, ein gutes Mittel gegen Weinen wäre, den Kopf in eine Papiertüte zu stecken. Tatsächlich gibt es einen triftigen physiologischen Grund dafür, der etwas mit Sauerstoff zu tun hat, aber allein die psychologische Wirkung ist unermesslich: Es ist extrem schwierig, sich wie Cathy in ›Wuthering Heights‹ zu fühlen, wenn man eine Gemüsetüte über den Kopf gestülpt hat.«[16]
Joan Didion, »On Self-Respect«

Worum


Aber worum geht es denn nun in dem Buch, Mithu? Worum geht es?

Wenn wir hier in Großbritannien wären, könnte ich davon ausgehen, dass alle die Handlung von »Wuthering Heights« kennen, schließlich haben alle den Film gesehen.Den Film »Wuthering Heights« (1939) von William Wyler, mit Laurence Olivier und Merle Oberon, die in der populären Imagination für immer als Heathcliff und Cathy auf ihrem Felsen im Heidekraut sitzen.

Oder »Abismos de Pasión« von Luis Buñuel, der sein Lieblingsbuch schon seit den frühen 1930ern verfilmen wollte, aber erst 1954 die Gelegenheit bekam. Die Schauspieler waren schon engagiert, allerdings für ein Musical – aber: egal! Das passt schon –, und auch das Moor ist nicht so, wie wir uns das Moor vorstellen, sondern das Chaparral Mexikos – nur die Leidenschaft ist unverändert. Die Botschaft des Films ist, so der Filmkritiker Raymond Durgnat: »Es ist besser, geliebt und getötet zu haben, als niemals geliebt zu haben.«[17]

Oder einen der zahlreichen Bollywoodfilme wie »Arzoo« (1950) von Shaheed Latif oder »Hulchul« (1951) von Shubh Karan Ojha oder »Dil Diya Dard Liya« (1966) von Abdur Rashid Kardar und Dilip Kumar: Ja, Inder*innen lieben »Wuthering Heights« nicht nur, wir finden die Handlung auch kein bisschenover the top.

Oder »Wuthering Heights« (1970) von Robert Fuest mit dem späteren James Bond, Timothy Dalton, als Heathcliff und der späteren Spinne Aragog aus »Harry Potter«, Julian Glover, als Cathys Bruder Hindley Earnshaw. Der Film wirkt wie ein Remake des Wyler-Films mit 70er-Jahre-Frisuren, bis Hindley plötzlich das Drehbuch vergisst und Heathcliff erschießt: The End.

Oder Jacques Rivettes »Hurlevent« von 1985, inspiriert von Balthus’ »Wuthering Heights«-Bildern. Rivette hatte Brontës Buch als 19-Jähriger in einer französischen Übersetzung gelesen (in der sich Heathcliff und Cathy siezen, was an und für sich keine Seltenheit war, Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre würden sich ihr ganzes Leben lang siezen, Cathy und Heathcliff jedoch nie). Rivette entschied, das Buch für seine Verfilmung nicht noch einmal zu lesen, was vieles erklärt.

Oder »Onimaru« von Yoshishige Yoshida, das im Mittelalter in Japan spielt. Oder die 60 Jahre lang verscholleneTV-Adaptionen mit Richard Burton als Heathcliff, die 2019 wiedergefunden wurde. Oder Monty Pythons »Semaphore Version of Wuthering Heights«, in der Terry Jones, Carol Cleveland und Eric Idle die Dialoge mit Flaggensignalen bestreiten und immer größere Flaggen verwenden, je lauter sie schreien. Oder Andrea Arnolds »Wuthering Heights« von 2011 mit dem ersten Schwarzen Leinwand-Heathcliff. Oder. Oder. Oder.

Aber wir sind hier nicht in Großbritannien. Und in Deutschland hat nicht jeder mindestens drei dieser Verfilmungen gesehen und ist »Wuthering Heights« kein Synonym für inbrünstige »Oh Cathy!«-»Oh Heathcliff«-Rufe. Doch selbst wenn, wüssten wir nicht, was in »Wuthering Heights« passiert,