: Udo Müller-Christian
: Passagier 82, 11.09.2001
: Books on Demand
: 9783756249626
: 1
: CHF 9.00
:
: Science Fiction
: German
: 524
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Start verzögerte sich. Meine Sitznachbarin, eine junge Frau um die Fünfzig, war ziemlich nervös. Aber mit Flugangst ist nicht zu spaßen. Als ich sah, dass sie mit Hilfe ihrer Finger zu zählen begann, glaubte ich einen Grund zu haben, eingreifen zu können."Die Quersumme des Datums ist eine fünf. Das wird wohl nicht dramatisch sein..." Sie sah mich an, als hätte ich ihr vorgeschlagen, ohne Fallschirm aus dem Flugzeug zu springen. Demonstrativ hob sie beide Hände und begann es mir anhand ihrer Finger mit rot lackierten Nägeln zu erklären. Trotzdem kam ich ihr zuvor."11.09.2001; 11+9+2+1, die neun können wir weglassen, dann kommen wir auf 14 und das ist eine 5.""23!"" lar Captain Clark, der 23 Jahre die selbe Strecke befuhr und nie war etwas passiert... Ich habe William S. Burroughs gelesen und Robert Anton Wilson. Burroughs ist bei all seiner Skepsis immerhin 83 geworden." Ich musste über meine eigenen Worte lachen."Genauer 83 ein halb minus 3 Tage!""Na, ob es ihnen gelingen wird, mich auf zu muntern..." Sie lachte auch."Na gut, zumindest werden wir bis nach LA keine Langeweile haben. Kannten sie Burroughs noch selber?" Mit 89 Jahren, als 82ster Passagier in Flug N334AA, findet sich der Protagonist auf einer Intensivstation wieder, in einem 67 Jahre jüngeren Körper, der zur Organspende freigegeben wurde.

Seit dem achten Lebensjahr hat der Autor sich als Schreibenden gesehen und wenn er Aufsätze für die Schule schrieb, wurde ihm seitens der Lehrer immer wieder vorgeschlagen, Politiker oder Schriftsteller zu werden. Nun war es in einer Arbeiterfamilie in den Sechzigern nicht so einfach, wenn man den Eltern mitteilte, was die Lehrer so sagten. In der Regel führte das zu unangenehmen Konsequenzen oder wochenlangen Diskussionen und einen Ausbildungsplatz als Schriftsteller gab es auch nicht. Als seine Mutter im zweiten Schuljahr erfuhr, er hätte viel Phantasie, war das eine Katastrophe mittleren Ausmaßes."Du hast zu viel Phantasie!" Man wusste aber nicht viel, was man dagegen tun konnte. Als er vierzehn war und immer noch eine Schule besuchte, wurde ihm von seinen Eltern signalisiert, ein guter Sohn wäre ja bereits in einer Lehre und würde das verdiente Geld zu hause abgeben. Als er mit achtzehn immer noch eine Schule besuchte wurde seine Mutter krank und damit hatten seine Eltern andere Sorgen. Aber wie das nun'mal im menschlichen Leben so ist, weder die Miete wird einem erlassen, noch füllt sich der Kühlschrank selbsttätig. Da der Autor nicht sofort einen Studienplatz bekam ( ZVS ), begann er eine Ausbildung im Krankenhaus. Dazu sei noch angemerkt, dass das einzige Krankenhaus in dem das möglich war, das Soester Stadtkrankenhaus war, da alle anderen keinesfalls konfessionslose Krankenpflegeschüler an nahmen. Die Bundeswehr suchte zwischenzeitig nach einem wackeren Recken, den er ihnen auch nicht bieten konnte und der Unterzeichner gewöhnte sich an monatliche Tantiemen, die er für geleistete Arbeit in der Krankenpflege erhielt. Immerhin wurde er nach Erhalt des Krankenpflegediploms an vielen Stellen des Krankenhauses eingesetzt und hatte für die Kolleginnen und Kollegen den Vorteil, nie in den Sommerferien verreisen zu wollen. Na ja, bis auf ein Mal. Im Sommer 1983 kaufte sich eine gebrauchte elektrische Schreibmaschine namens Triumph Gabriele 5000.

Zu meinen Aufgaben bei Sawars Hennes gehörte es auch, Einkäufe und Besorgungen zu machen und abends, wenn wir das Autohaus schlossen, die vorhandenen Essex in die Halle zu fahren und so zu platzieren, dass sie von Innen direkt vor dem Schaufenster standen, was besonders an Sonn- und Feiertagen wichtig war, denn dann konnten sich mögliche Käufer die Wagen im besten Licht betrachten.

Das machte ich jeden Abend so bis ein neuer Mitarbeiter eingestellt wurde, er war ausgebildeter Schmied und hatte lange in einer Autowerkstatt gearbeitet.

Aus der Werkstatt hörte ich, wie er mit dem Chef redete.

„Also Herr Sawar, das geht ja wohl gar nicht, dass der Junge die Wagen in die Ausstellung fährt, bis direkt an die Scheibe!“

„So, sie meinen, dass das nicht geht? Gut, wenn sie meinen, dann machen sie das ab heute... Er fährt die Wagen seit einem Jahr und es hat noch keinen einzigen Kratzer gegeben!“

Da war ja wohl ich gemeint, na gut.

Am Abend zog mich Herr Sawar in sein Büro und bedeutete mir mit dem Zeigefinger auf dem Mund, ich solle ruhig sein.

Wir hörten zusammen zu wie der neue Meister den ersten Wagen in den Ausstellungsraum fuhr.

Das Motorengeräusch wurde vom Zerbrechen der großen Schaufensterscheibe übertönt...

Herr Sawar hielt mich zurück und wir verdrückten uns in den Werkraum, der direkt an die Werkstatt grenzte, die der Meister meines Wissens noch nie betreten hatte.

Eine halbe Stunde später hörte ich.

„Und noch eines, ab morgen wird der Junge wieder die Wagen rein fahren! Ist das klar?“

Über diesen Vorfall wurde nie mehr geredet.

Der kleine Raum neben der Werkstatt war mein Reich, weder Herrn Sawar, noch einen anderen der Beschäftigten hatte ich bis auf sehr wenige Ausnahmen da gesehen.

Auf einer Werkbank war ein kleiner Amboss fest geschraubt und direkt daneben ein Schraubstock.

Ich war 'mal wieder mit der Längeneinstellung einer der Messingfedern aus dem Essex-Vergaser befasst. Dazu spannte ich die Längenlehre in den Schraubstock ein, um diese wichtige Einstellung passgenau zu erledigen.

Ich war konzentriert und wollte wie immer eine absolut genaue Federlänge einstellen, als ich von nebenan Geräusche hörte, wie ich sie nicht kannte, zumindest nicht an diesem Ort.

Die Werkstatt stieß an ein Haus in der Parallelstraße, in dem alles für den Haushalt und noch mehr verkauft wurde – zumindest wurde das in der Stadt immer so erzählt.

Die Wand zwischen der Werkstatt und einem Lagerraum im besagten Geschäft bestand aus einfachen Brettern. In den einfachen Brettern hatte ich ein Astloch gefunden, durch das man bequem in den Lagerraum blicken konnte.

Seit einer Woche hatte eine ehemalige Mitschülerin aus meiner Schule eine Ausbildung zur Verkäuferin begonnen und ich hoffte immer, sie einmal durch das Astloch sehen zu können.

Sehr selten hatte ich Anna gesehen, denn in dem Lagerraum brannte immer Licht. In der Werkstatt nur dann, wenn es unbedingt nötig war. Das Astloch hatte ich auch nur darum gefunden, weil der Lichtschein in der dunklen Wand auffiel, als ich den Werkraum betrat.

Der Besitzer des Geschäfts benutze den Lagerraum auch oft für einen kurzen Mittagsschlaf und das schien jetzt auch wieder die richtige Zeit dafür zu sein.

Nur die hellen Geräusche passten nicht dazu.

Ich blickte durch das Loch in der Wand.

Der Mann hatte der Anna unter den Rock gegriffen und die Geräusche stammten von ihr.

„Wenn einer kommt...“

Konnte ich verstehen.

„Es kann keiner kommen, ich hab' ab