1. KAPITEL
Doug Cooper wartete ungeduldig in Victoria Colbys Büro. Seit er vor sechs Wochen angeschossen worden war, war er zur Schreibtischarbeit verdammt gewesen. Glücklicherweise hatte die Kugel keine lebenswichtigen Organe getroffen, sondern ihn nur vorübergehend außer Gefecht gesetzt. Dennoch war es schlimm genug, nur herumzusitzen.
Jetzt aber war er körperlich wieder fit. Im Büro zu hocken und Fallstudien zu lesen langweilte ihn zu Tode. Er brauchte Action. Victoria hatte ihn vergangene Woche kurz über den Fall informiert, den er bearbeiten sollte. Der Auftrag war nicht besonders aufregend, doch spannender als Büroarbeit. Der Fall war, wie Victoria gesagt hatte, etwas sensibel und erforderte einen Bodyguard mit einem gewissen gesellschaftlichen Hintergrund. Doug verstand, was sie meinte, was aber nicht bedeutete, dass es ihm gefiel.
Dennoch wollte Doug diesen Auftrag haben. Dafür würde er alles tun, was von ihm verlangt wurde. Wenn seine Abstammung – er war der mittlere Sohn einer der reichsten Familien Amerikas – wichtig für die Ausführung dieses Auftrags war, dann würde er die elitäre Erziehung und Ausbildung nutzen, die für die Welt normal war, in die er hineingeboren war.
Er dachte an die arme ahnungslose Frau, deren Leben sich total ändern würde, und empfand Mitleid. Abigail Harper hatte keine Ahnung, was sie erwartete. Mancher würde vielleicht sagen, dass das Schicksal es gut mit ihr meinte, doch Doug wusste es besser. Sie würde einen hohen Preis zahlen müssen.
Lange hatte man gedacht, Solange D’Martine wäre das letzte Mitglied der wohlhabenden D’Martine-Familie. Die letzte Erbin eines internationalen Schmuckimperiums, das seit sechs Generationen existierte. Die alte Dame war siebzig und führte ein sehr zurückgezogenes Leben. Das unerwartete Auffinden einer Enkelin brachte eine dramatische Veränderung in ihr Leben. Ganz zu schweigen davon, dass es den Fortbestand des traditionellen Familienunternehmens trotz der tragischen Vergangenheit sicherte.
Doug hatte den Bericht über das furchtbare Schicksal gelesen, das die Familie ereilt hatte. Der Sohn, Edouard D’Martine, war der Alleinerbe des Imperiums gewesen, das seine Wurzeln in Frankreich hatte. Während seines letzten Semesters an der juristischen Fakultät war Edouard gekidnappt worden. Die Kidnapper forderten ein hohes Lösegeld. Vor der Übergabe war dann irgendetwas schrecklich schiefgegangen. Der Fall war nie gelöst worden. Edouards Vater war kurze Zeit später an einem Herzanfall gestorben, ausgelöst durch die Tragödie, wie die meisten vermuteten. Und Solange D’Martine musste die Schicksalsschläge allein meistern.
Jetzt war eine mögliche Enkelin, eine gewisse Abigail Harper, von einem Vertrauten der Familie aufgetan worden. Die junge Frau lebte in Meadowbrook, Maryland, und arbeitete mit ihrem Vater – besser gesagt mit dem Mann, den sie als ihren Vater betrachtete – in der Eisenwarenhandlung der Familie. Abigails Mutter Millicent hatte Harvey Harper vor sechsundzwanzig Jahren geheiratet. Zu dem Zeitpunkt war sie bereits schwanger gewesen. Doug fragte sich, warum Millicent die Schwangerschaft verschwiegen hatte, wenn Edouard D’Martine tatsächlich der leibliche Vater ihres Kindes war.
„Tut mir leid, dass Sie warten mussten, Douglas“, sagte Victoria, als sie das große Büro über den Dächern von Chicago betrat. „Ich habe heute Morgen einen besorgten Anruf von Mrs. D’Martines Anwalt Mr. Thurston erhalten. Mrs. D’Martine möchte, dass wir uns sofort um die Angelegenheit kümmern.“
Doug nickte. „Ich bin bereit und kann noch heute Nachmittag abreisen.“
„Schön. Sie sollten einen Termin mit Mr. Thurston vereinbaren.“ Victoria betrachtete Doug einen Moment, bevor sie hinzufügte: „Ich weiß,