1. KAPITEL
Schon wieder ein Konvoi aus protzigen Limousinen mit getönten Scheiben! Die ganze Stadt war voll davon. Michel Renier drückte genervt auf die Hupe. Nach einem langen Tag im Büro wollte er einfach nur nach Hause.
„Diese Wichtigtuer blockieren alles“, knurrte er, obwohl ihn niemand hören konnte.
Unwillkürlich blickte er auf den Beifahrersitz neben sich. Wenn seine Zwillingsschwester Aurore hier säße, hätte sie gelacht. Wahrscheinlich hätte sie ihn sogar dazu gebracht, sich mit ihr an den Straßenrand zu stellen und die Parade der Prominenten und die Journalistenhorden zu beobachten. Er vermisste Aurores spitzzüngige Art so sehr. Sie hatte es geliebt, mit ihm über die hochnäsigen Leinwandschönheiten herzuziehen.
Aber seine Schwester war nicht mehr da, und Michel hasste die Filmfestspiele und alles, was damit zusammenhing. Es war Mai, einer der schönsten Monate in Südfrankreich, doch Cannes war überfüllt und Michels Stimmung auf dem Tiefpunkt.
Abermals drückte er auf die Hupe, was ihm empörte Rufe aus dem Fahrzeug vor ihm bescherte.
Eine Frau mit feuerrotem Haar streckte den Kopf aus dem hinteren Wagenfenster und gestikulierte, als hätte er sie gestört, nicht umgekehrt. „Nun geben Sie doch endlich Ruhe!“ Ihre Haare flatterten im Wind, der vom Jachthafen zu ihnen heraufwehte. Ihr blasses, schmales Gesicht war fast komplett von einer riesigen Sonnenbrille verdeckt.
„Bien sûr … Wenn Sie verdammt noch mal weiterfahren!“, rief er zurück.
Nur noch wenige Meter bis zur Auffahrt seiner Villa, und er steckte fest!
Erst jetzt erkannte er, welches Ziel der Fahrzeug-Konvoi vor ihm hatte.
„Das darf doch nicht wahr sein“, schimpfte er und schlug mit der flachen Hand aufs Lenkrad.
Die Nachbarvilla, deren ausgedehnte Parkanlage an seinen Garten grenzte, gehörte einem Öl-Milliardär aus der Golfregion. Er bewohnte sie nur wenige Wochen im Jahr. Da er ein ausgemachter Cineast war, stellte er die Villa für die Zeit der Festspiele einer Produktionsfirma zur Verfügung, die ihre Berühmtheiten darin einquartierte.
Mit Aurore hatte Michel früher seinen Spaß daran gehabt, das Brimborium um die Stars und Sternchen nebenan zu beobachten.
Die Erinnerung sandte einen stechenden Schmerz durch seinen Körper. Wenn er an seine Zwillingsschwester dachte, fühlte es sich an, als bohrte sich ihm ein glühender Dolch ins Herz.
Doch Michel schüttelte dieses Gefühl ab, wie er es immer tat, und lenkte den wendigen Roadster in eine Parklücke am Straßenrand. Einer seiner Angestellten konnte das Auto später holen. Er hatte keine Zeit, wenige Hundert Meter vor dem Ziel tatenlos im Stau zu stehen.
Murrend drängte er sich durch die Menge der Paparazzi und atmete erst wieder auf, als sich das schmiedeeiserne Tor seines Grundstücks surrend hinter ihm schloss.
Die Ruhe des Gartens und der Anblick der Schatten spendenden Palmen und üppig blühenden Sträucher legten sich wie Balsam auf seine angespannten Nerven.
Michel liebte das alte Anwesen. Hier waren Aurore und er aufgewachsen. Inzwischen bewohnte er es allein. Seine Eltern waren in eine elegante Wohnung nahe der Innenstadt von Cannes gezogen, die neben dem gewohnten Luxus auch eine Pflegeoption und ein barrierefreies Umfeld für Michels Vater bot. François Renier hatte nach einem Schlaganfall vor wenigen Jahren die Leitung des Familienunternehmens Renier Couture an seine Tochter übergeben und sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Seit Aurores Tod hatte Michel den Firmenvorsitz übernommen und kümmerte sich um das Geschäft. Und das neben seinem eigenen Betrieb – einem Bauunternehmen für Luxusimmobilien an der Côte d’Azur.
Seufzend überquerte er das rötliche Mosaikpflaster des Vorplatzes, stieg die breite Außentreppe hinauf und drückte die Wagenschlüssel in die Hand des verblüfften Butlers, der ihm die Tür öffnete.
„Bitte holen Sie das Cabrio, sobald sich das Tohuwabohu da draußen gelegt hat, Matthieu“, sagte er im Vorbeigehen und fügte hinzu: „Und sagen Sie der Köchin, dass ich meindiner im Arbeitszimmer einnehme.“
„Aber,