Øystese, Vavollen
Dienstag,1. Mai2018
Kommissar Bengt Alvsaker schüttelte resigniert den Kopf über seinen Kollegen Lars Staupe, der zum x-ten Mal in den Spiegel der Sonnenblende schaute. Sie trugen beide ihre Festtagsuniform und sollten den Erster-Mai-Umzug in Ålvik, einem kleinen Industriestädtchen am Hardangerfjord, begleiten.
Kurz vor dem Tunnel nach Øystese wurden sie von der Einsatzzentrale des Polizeidistrikts Vest angefunkt und gebeten, die Angaben einer Frau zu überprüfen, die behauptete, im Garten ihres Hauses die Reste eines Menschen gefunden zu haben.
Bengt parkte am Straßenrand und ließ seinen Blick über einen halb umgegrabenen Hang zu seiner Linken schweifen. Eigentlich war es wenig wahrscheinlich, dass dort irgendwelche menschlichen Überreste lagen, aber trotzdem mussten sie dem Anruf nachgehen. Er nahm sein iPad, das auf der Rückbank lag, und ging gemeinsam mit Lars den steilen, ungepflegten Kiesweg hinauf. Am Morgen hatte es noch leicht geregnet, aber im Gegensatz zu Norheimsund hatte der Wind in Øystese aus Nordwest aufgefrischt und die dichte Wolkendecke aufgelockert. Der blaue Himmel, der an einzelnen Stellen zum Vorschein kam, ließ auf besseres Wetter hoffen.
»Mann, was für eine Bruchbude«, sagte Lars leise. »Bin ich froh, dass meine Eltern für mich bürgen. Sonst müsste ich vielleicht auch so wohnen!«
»Ja, du hast es natürlich schön«, antwortete Bengt und stieß Lars freundschaftlich in die Seite. »Wenn du mich fragst, würde es dir gar nicht schaden, mal eine Weile an einem solchen Ort zu wohnen.« Bengt hatte schon viel zu oft von der fantastischen Wohnung gehört, die sein Kollege sich an der Hardanger Brygge in Norheimsund gekauft hatte.
Marte Samland saß auf der Bank neben der Haustür. Sie sah aus, als könne sie jeden Augenblick umkippen. Eine Sommerblume in einem abgestorbenen Moor, dachte Bengt und nahm das Grundstück in Augenschein.
»Frieren Sie nicht?«, fragte Lars und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie zitterte, starrte aber weiterhin nur auf den Hang.
»Sitzen Sie schon die ganze Zeit hier? Sie hätten doch drinnen warten können.« Bengt setzte sich neben sie. Die Frau trug nur eine Jogginghose und ein geblümtes T-Shirt. Die Haut ihres Oberarms sah aus wie bei einem gerupften Huhn. Die Finger waren schwarz von Erde, und um eine Hand hatte sie sich einen weißen Lappen gewickelt. »Haben Sie sich verletzt?«
»Nur ein Kratzer, nicht der Rede wert. Ich hätte das Grundstück niemals kaufen sollen. Eine Leiche hat mir gerade noch gefehlt. Aber wer rechnet denn mit so was?« Sie versuchte sich an einem Lächeln, das aber nur zu einer Grimasse wurde.
»Jetzt lassen Sie uns erst einmal nachsehen«, sagte Lars in beruhigendem Ton. Dann machte er einen Schritt in Richtung Schubkarre, die etwas oberhalb am Hang stand.
Bengt bat Marte zu warten und folgte Lars. Vavollen war ein Viertel mit gepflegten Einfamilienhäusern, aber das hier …
»Ich habe ihn da drüben gefunden«, rief Marte und streckte den Arm aus.
Bengt zog eine Augenbraue hoch.
»Ihn?«
»Ja, ihn, den Menschen, oder was das ist. Keine Ahnung.« Sie schlug die Arme um sich. »Sie sehen ja, wo ich gegraben habe. Der Stoff an der Wurzel. Sieht aus wie Jeans.«
»Manche Leute begraben ihre Haustiere im Garten«, sagte Lars, wobei Bengt auffiel, dass seine Stimme ziemlich angespannt klang.
»Herrgott! Ich bin auf einem Hof aufgewachsen«, fuhr sie die beiden an. »Schauen Sie doch selbst. Das ist kein Tier!«
Es riefen nicht selten Leute bei er Polizei an, die an den unmöglichsten Stellen Leichenteile gefunden zu haben glaubten. Einmal hatten sie sogar ein Päckchen mit Knochenresten zur Untersuchung zugeschickt bekommen, die sich dann später als die sterblichen Überreste einer Kuh