Störung im Betriebsablauf
„Komm, lass die beiden mal alleine fahren.“
„Dürfen wir wirklich?“
„Au ja!“
„Sag mal … meinst du nicht, dass sie dafür noch zu jung sind?“
„Sind wir gar nicht!“
„Nein, sind wir nicht!“
„Ach was, die schaffen das schon. Außerdem sollen sie ja auch gleich bei der nächsten Station aussteigen und auf uns warten.“
„Das machen wir!“
„Genau!“
„Wie kommst du bloß auf so eine bescheuerte Idee?“
„Dazu stand neulich mal was in der Zeitung. So ein Artikel über Großstadtkinder, die ab einem gewissen Alter lernen müssen, sich allein im Verkehr zurechtzufinden. So wie Kinder auf dem Land lernen müssen, sich im Wald…“
„Schön, Linus ist sieben.“
„Ich werde in … fünf Monaten acht!“
„Aber dubist sieben, und Meret ist…“
„Vier bin ich!“
„Genau … und deshalb können die beiden doch nicht einfach mal so, weil du was gelesen hast, allein in die S-Bahn steigen.“
„Also ich bin in dem Alter auch schon allein Bus gefahren.“
„Mit … vier?“
„Nein, mit sieben.“
„So so. Du bist allerdings in Husum aufgewachsen. In ganz Husum ist nicht so viel los wie an der nächsten Station. Und an einem Samstag ist am Bahnhof Zoo nicht nur viel los, da ist die Hölle los.“
„Aber es ist ja nicht so, dass die Kinder noch nie am Bahnhof Zoo gewesen wären.“
In diesem Augenblick fuhr die S7 in Richtung Potsdam ein.
„Und … dürfen wir jetzt?“, fragte Linus, als sich die Türen der S7 öffneten.
„Nein“, sagte Xenia.
„Doch, springt ruhig rein. Wartet am Bahnhof Zoo genau dort, wo ihr aussteigt, wir nehmen die nächste S-Bahn“, sagte Klaas.
Linus schaute seine Mutter an, die die Achseln zuckte. Dann nahm er Meret an die Hand und wollte einsteigen.
„Meret … bleib du lieber hier“, sagte Xenia.
„Ach nö“, sagte Meret und sprang ihrem Bruder hinterher.
Als die Türen sich bereits schlossen, sahen Klaas und Xenia, wie sich ihre Kinder auf einen Vierer zu einem Mann setzten, den Klaas auf mindestens siebzig schätzte und der einen auffälligen, rosafarbenen Schal trug. Anstatt aus dem Fenster zu schauen und seinen Eltern zuzuwinken, fing Linus sofort zu erzählen an. Der Mann lachte, kramte in seiner Manteltasche und hielt plötzlich eine Tüte mit Gummibärchen in der Hand. Dann fuhr die S-Bahn los.
„Du, hast du das gesehen … der alte Mann hat … er hat…“
„Ja ja, habe ich gesehen, aber…“
„Aber was? Kannst du mir mal erzählen, was so einer mit Gummibärchen will? Der hat sie bestimmt nur dabei, weil er darauf wartet, dass irgendwelche Eltern so bekloppt sind wie wir.“
„Ach komm schon.“
„Und hast du den Schal gesehen?“
„Ja, habe ich.“
„Der Schal war rosa!“
„Ja ... ich weiß…“
„Ein Mann, der so einen Schal trägt, und das an einem solchen Tag, der muss ja wohl ein bisschen gestört sein.“
Klaas sagte nichts dazu. Dass es sich um einen Pädophilen auf Beutefang handelte, schloss er aus. Es wimmelte geradezu von Menschen, die ihn beobachten und später auch identifizieren könnten. Xenia schüttelte den Kopf. Ob aus Wut oder Verzweiflung, wusste Klaas nicht.
„Hoffentlich kommt die nächste S-Bahn bald“, sagte sie.
Sie hoffte allerdings vergeblich, denn in diesem Moment sagte eine weibliche, monotone Stimme: „Sehr geehrte Fahrgäste, in Richtung Spandau und Potsdam kommt es wegen