Celeste
Ich hatte nie einen Mann geliebt. Jedenfalls nicht so, wie man es aus Filmen kannte. Vielleicht war mein acht Jahre älterer Bruder Milo schuld daran, dass ich ein negatives Bild von den Männern hatte und mein Interesse an ihnen schon zu Schulzeiten gedämpft gewesen war. Ein Junge in meiner Englischklasse war damals in mich verliebt gewesen und hatte mir klein gefaltete Zettel über drei Mitschüler hinweg zugeschoben, auf denen immer schlüpfrigere Zeilen gestanden waren, aber ich war kalt geblieben wie ein Stein.
Wir gehörten zu den wenigen Familien in der ländlichen Gegend von Madison, Wisconsin, die nicht alle drei Jahre umzogen. Das lag daran, dass mein Vater zusammen mit seinem Zwillingsbruder eine erfolgreiche Anwaltskanzlei führte. So blieb ich da, wo ich mich pudelwohl fühlte: in meinem gewohnten Umfeld in unserem zweistöckigen Haus mit der weißgetünchten Veranda und den hellgrauen Fensterladen, mit dem runden Teich mit einem Springbrunnen neben der hufeisenförmigen Einfahrt und den Gänsen, die dort badeten. Wenn es im Sommer schwülheiß wurde, saß ich abends oft auf der blauen, schattigen Bank hinter dem Haus und hing meinen Gedanken nach.
Zur Schule ging ich gern, der Schulbus hielt direkt vor dem Haus. Ich war die Königin des Debattier-Clubs, turnte bis zu meinem dreizehnten Lebensjahr ausgiebig und spielte später Lacrosse, verfiel jahrelang der Seidenmalerei und besuchte sonntags andächtig mit meiner Familie die Messe. Das Leben war schön und wenigen Veränderungen unterworfen.
Meine beste Freundin Liz fragte mich eines Tages nach dem Sexualkundeunterricht, der für ihren Geschmack zu theoretisch war, ob ich ihr erzählen könne, wie ein nackter Mann aussah, denn bei ihnen zu Hause blieben Bade- und Schlafzimmertüren stets verschlossen.
»Ich habe nur Milo gesehen«, gab ich zu, denn meine Eltern waren wohlhabend, konservativ und somit prüde. »Zwischen seinen Beinen hängen sein Ding und seine Hoden wie ein ausgedienter Luftballon. Und er rasiert sich die Haare unten ab.« Es war für mich nicht weiter interessant.
»Ehrlich?« Liz machte große Augen und kicherte wie schon im Kindergarten, nachdem wir den großen Jungs einen Streich gespielt hatten.
»Es ist nicht sonderlich attraktiv«, sagte ich, um das Thema abzuhaken, und Liz verstand es sofort.
Ich hatte schon mit zwölf Jahren das bestimmte Gefühl, dass zwischen den Frauen und Männern dieser Welt unterschwellig ein erbitterter Krieg ausgefochten wurde. Das Klirren der Klingen drang nur manchmal an die Oberfläche. So zum Beispiel, wenn Mom sich mit einer Wärmflasche auf dem Unterbauch auf dem Sofa in ihre Lieblingsdecke einkuschelte und Dad einen vorwu