: Vladimir Vertlib
: Zebra im Krieg Roman nach einer wahren Begebenheit
: Residenz Verlag
: 9783701746736
: 1
: CHF 15.30
:
: Erzählende Literatur
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Liebevoller Vater und wütender Hassposter: Paul ist beides, und als er im Netz bloßgestellt wird, kämpft er um seine Würde, Familie - und sein Leben. Mit der Geschichte von Paul Sarianidis gelingt Vladimir Vertlib in 'Zebra im Krieg' ein meisterhaft ironischer, jedoch stets von Zuneigung und Humanität erfüllter Blick in menschliche und politische Abgründe: Paul lebt mit seiner Familie in einer vom Bürgerkrieg heruntergewirtschafteten osteuropäischen Stadt am Meer. Als er arbeitslos wird, verstrickt er sich immer tiefer in die wüsten Debatten, die in den Sozialen Medien toben. Doch eines Tages wird Paul von Boris Lupowitsch, einem Rebellenführer, den er im Internet bedroht hat, verhaftet. Lupowitsch rechnet mit ihm vor laufender Kamera ab. Paul wird verhöhnt und gedemütigt, das Video millionenfach gesehen. Wie kann er mit dieser Schande weiterleben?

Vladimir Vertlib wurde 1966 in Leningrad geboren. 1971 emigrierte die Familie nach Israel, dann nach Italien, Holland und die USA, bevor sie sich 1981 in Österreich niederließ. Er studierte Volkswirtschaftslehre, er lebt seit 1993 als Schriftsteller in Salzburg und Wien. Sein Werk umfasst Romane, Erzählungen, Essays sowie zahlreiche Artikel. 2001 erhielt er den Adelbert von Chamisso-Förderpreis sowie den Anton Wildgans Preis. Vertlib schrieb u.a. die Romane 'Lucia Binar und die russische Seele', der 2015 auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis stand. Zuletzt erschien 'Zebra im Krieg' (2022).

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Was für eine Stadt! Vor den Kämpfen, bevor die Kontrahenten ihre Transparente, Fahnen und Megafone gegen automatische Waffen und Granatwerfer tauschten, hätte sie eine Perle des Tourismus werden können. Neben Sehenswürdigkeiten, Museen und malerischen Gassen gibt es wunderschöne Sandstrände, Wander- und Radwege und eine Fußballmannschaft, die regelmäßig internationale Erfolge feiert. Vor der Corona-Krise hätten sogar chinesische Gruppen hier für ein paar Stunden eine Pause einlegen und Kreuzfahrtschiffe im alten Hafen vor Anker gehen können, wenn die Stadt nicht von den Mächtigen – der Stadtverwaltung, dem Gouverneur, den Bezirksvorstehern und den diese Clique finanzierenden finsteren Gestalten, die jeder kennt, aber niemand beim Namen nennt – völlig verschissen worden wäre. Das sagen alle und verwenden exakt diesen Ausdruck:verschissen und runtergespült! – Worte, die man an Hauswänden, Mauern und Zäunen überall in der Stadt lesen kann, genauso wie in diversen Accounts, auf Plattformen und in Netzwerken im Internet, meist kombiniert mit Schmähungen und Bezeichnungen menschlicher und tierischer Geschlechtsteile und Exkremente. Schon seit langem ist die Stadt für die kreative Gestaltung ihrer Außenflächen berühmt: kein Straßenbahnwaggon und kein Oberleitungsbus, der nicht eine Mischung aus Plakatwand und modernem Kunstwerk wäre – jugendfrei ab 18 Jahren. Für die Reinigung fehlt der Stadt angeblich das Geld.

Kein Wunder, dass Lena eine derbe Zunge hat, denkt Paul. Kürzlich hat sie einen Nachbarn, den alten Zollbeamten außer Dienst aus dem zweiten Stock, als »Kinderficker« bezeichnet. So, wie er sie anschaut, wenn sie sich im Stiegenhaus oder auf der Straße begegnen, liegt sie wahrscheinlich nicht so falsch. Trotzdem ist Paul schockiert über die Ausdrucksweise seiner Tochter. Seine Frau reagiert gelassener. Das Kind wisse doch gar nicht, was dieser Ausdruck bedeute, sagt