Was für eine Stadt! Vor den Kämpfen, bevor die Kontrahenten ihre Transparente, Fahnen und Megafone gegen automatische Waffen und Granatwerfer tauschten, hätte sie eine Perle des Tourismus werden können. Neben Sehenswürdigkeiten, Museen und malerischen Gassen gibt es wunderschöne Sandstrände, Wander- und Radwege und eine Fußballmannschaft, die regelmäßig internationale Erfolge feiert. Vor der Corona-Krise hätten sogar chinesische Gruppen hier für ein paar Stunden eine Pause einlegen und Kreuzfahrtschiffe im alten Hafen vor Anker gehen können, wenn die Stadt nicht von den Mächtigen – der Stadtverwaltung, dem Gouverneur, den Bezirksvorstehern und den diese Clique finanzierenden finsteren Gestalten, die jeder kennt, aber niemand beim Namen nennt – völlig verschissen worden wäre. Das sagen alle und verwenden exakt diesen Ausdruck:verschissen und runtergespült! – Worte, die man an Hauswänden, Mauern und Zäunen überall in der Stadt lesen kann, genauso wie in diversen Accounts, auf Plattformen und in Netzwerken im Internet, meist kombiniert mit Schmähungen und Bezeichnungen menschlicher und tierischer Geschlechtsteile und Exkremente. Schon seit langem ist die Stadt für die kreative Gestaltung ihrer Außenflächen berühmt: kein Straßenbahnwaggon und kein Oberleitungsbus, der nicht eine Mischung aus Plakatwand und modernem Kunstwerk wäre – jugendfrei ab 18 Jahren. Für die Reinigung fehlt der Stadt angeblich das Geld.
Kein Wunder, dass Lena eine derbe Zunge hat, denkt Paul. Kürzlich hat sie einen Nachbarn, den alten Zollbeamten außer Dienst aus dem zweiten Stock, als »Kinderficker« bezeichnet. So, wie er sie anschaut, wenn sie sich im Stiegenhaus oder auf der Straße begegnen, liegt sie wahrscheinlich nicht so falsch. Trotzdem ist Paul schockiert über die Ausdrucksweise seiner Tochter. Seine Frau reagiert gelassener. Das Kind wisse doch gar nicht, was dieser Ausdruck bedeute, sagt