Einleitung
Eine amerikanische Schande
Die frühen Jahre der Britney Spears entsprechen haargenau jenem altbekannten Narrativ, das sich in der amerikanischen Kultur seit jeher großer Popularität erfreut: Ein Individuum aus bescheidenen Verhältnissen setzt zu einem schwindelerregenden Höhenflug an und wird berühmt, erfolgreich und wohlhabend. Anfangs erfreute sich Spears deshalb so großer Beliebtheit, ebenweilsie uns so ähnlich war. Sobald der erste Marketing-Glanz aber zu verblassen drohte, wurde uns eine Version der Sängerin präsentiert, die ein bisschenzu sehrversuchte, sie uns wie ein normales Mädchen erscheinen zu lassen. War sie zunächst als ehrgeizige Jungfrau/Sexbombe eingeführt worden, wurde sie nun zum Inbegriff des kleinsten gemeinsamen Nenners Amerikas – eine wohlvertraute, medial fast allgegenwärtige Verkörperung dessen, was sich vielen offenbarte, wenn sie nur einen genauen Blick auf sich selbst warfen.
Je erfolgreicher Britney wurde, desto mehr strebte sie nach jener Normalität, die sie angeblich personifizierte. Als ihre Berühmtheit auf ihren Charakter abzufärben begann, versuchte sie verzweifelt, sich an die letzten Fasern ihres früheren Lebens zu klammern. Dabei war sie zuerst noch so froh darüber gewesen, ebenjenem entkommen zu sein! Doch je weiter sie sich davon entfernte, desto reizvoller erschien dieses im Rückspiegel. Als sie in einem frühen Interview mitTeen Celebritygefragt wurde, was sie an ihrem Job als am anstrengendsten empfinde, erwiderte Spears: „Meine Identität und Privatsphäre aufgeben zu müssen.“ Außerdem fügte sie noch hinzu: „Was soll daran lustig sein, wenn man sich mit seinen Freunden verabredet und der Bodyguard andauernd dabei ist?“1
Nur wenige Jahre, nachdem sie zu einem Weltstar avanciert war, begannen Albenverkäufe, Auftritte und Nummer-1-Hits für Britney an Bedeutung einzubüßen. Stattdessen wuchs in ihr das Verlangen, das zu tun, was ganz normale Menschen so taten. Das Bedürfnis, bloß jemand anderes als Britney Spears zu sein, wurde allumfassend. Eine Freundin der Sängerin verriet: „Sie hat davon gesprochen, Lehrerin oder Kellnerin werden zu wollen – sie wollte einfach nicht mehr sein, wer sie tatsächlich war.“2Dieser Traum von einem gutbürgerlichen Dasein kam auch wiederholt bei Interviews mit Spears zur Sprache. So erzählte sie 2003 in einer britischen Talkshow, dass sie sich bis zu ihrem 40. Geburtstag „fünf oder sechs Kinder“ und „ein hübsches Zuhause“ wünsche.3
Diese Diskrepanz zwischen Britneys realem Leben und dem, was sie sich unter Normalität vorstellte, begann sich in Panikattacken und Stimmungstiefs zu manifestieren. Innerhalb ihrer Entourage sorgte man sich über ihre sich offenbar beständig verschlimmernde Depression. Um ihre mentale Verfassung zu stabilisieren, verschrieben Ärzte ihr daraufhin das Antidepressivum Prozac. Allerdings genehmigte sich Spears, anstatt das Medikament wie empfohlen täglich einzunehmen, nur gelegentlich eine Pille, wann immer sie sich niedergeschlagen fühlte. Als handelte es sich dabei um Aspirin, das man gegen Kopfschmerzen schluckte. Dies führte letztendlich bloß noch zu einer Verschlechterung ihres emotionalen Zustandes.
Zu Beginn ihres Aufstiegs in den Olymp der Popmusik wurde Britney Spears als Abbild eines anständigen, christlich erzogenen Mädchens aus den Südstaaten gefeiert – als offenkundiger Inbegriff uramerikanischer Tugendhaftigkeit. Als die Teenagerin jedoch zur jungen Erwachsenen heranreifte, wurden diese Attribute gegen sie verwendet. Die Presse und die Öffentlichkeit warfen Spears ein Verhalten vor, das sie als inakzeptabel brandmarkten. Während ihre Berühmtheit stetig zunahm, griff man sie nun für dieselben Dinge an, für die man sie ursprünglich noch gelobt hatte. Die dünkelhaften Medien porträtierten Britney nun nicht länger als „Mädchen aus der Kleinstadt, das völlig in Ordnung war“, sondern als „durchgeknallt-zugedröhnter Hillbilly, der sich irgendwie Zugang zur Prominenz erschlichen hat“.
Anekdoten, die davon berichteten, wie ihr Vater Jamie in den Wäldern hinter dem Haus der Familie mit der Flinte einst das Abendessen habe jagen müssen, wurden nun nicht mehr als Erzählung eines ums Überleben kämpfenden ehrbaren Familienclans präsentiert. Stattdessen war die Rede von hinterwäldlerischen Freaks, die wehrlose Kaninchen und Eichhörnchen mit bloßen Fingern am Küchentisch ausweideten. Ein anderer Artikel ging noch einen Schritt weiter. Darin wurde behauptet, Britneys Onkel ernähre sich von im Straßenverkehr getöteten Tieren. In einer Titelgeschichte aus demRolling Stone<