1.
Von einer Schnecke und einer Universität
Es sah ekelhaft aus, erschreckend und bizarr, aber die Berührung fühlte sich sanft an. Trotzdem lief Anzu Gotjian ein Schauder über den Rücken.
Reiß dich zusammen!, dachte sie. Es würde bald schlimmer werden als das. Wahrscheinlich viel schlimmer.
»Guten Tag«, sagte sie.
Vielleicht nicht gerade die intelligenteste oder passendste aller möglichen Äußerungen, aber ... nun, was sollte man sagen, wenn man einem vage schneckenartigen Geschöpf gegenüberstand, aus dessen Seite ein sehr menschlich anmutender Arm ragte?
Die Hand am Ende des Armes war schlank, sie wirkte feminin, zerbrechlich, gepflegt; die Haut hell, die Finger elegant gebogen, die Nägel kurz. Offenbar gab es in diesem kleinen Fluggerät, mitten im Chaoporter FENERIK, im Herzen des Feindeslandes, eine hervorragende Manikürestation. Zumindest für Schnecken.
Bei diesem Gedanken unterdrückte Anzu ein nervöses Lachen, denn das wäre wohl noch unpassender als eine pseudo-höfliche Begrüßungsfloskel.
Das Wesen antwortete nicht.
Oder doch?
War dieses Bild, das plötzlich über dem schleimigen Schneckenkopf auftauchte, eine Antwort? Was stellte es dar? Ein dunkler, leicht s-förmig gebogener Strich mit einer Verdickung am oberen Ende – neben einem kleinen, hellen Kreis.
So weit, so gut, das ließ sich klar erkennen, aber Anzu änderte die Frage, die sie an sich selbst richtete: Stellte dasüberhaupt etwas dar? War es Ausdruck einer Sprache, ein Versuch zu kommunizieren ... oder drückte es vielleicht aus, dass diese Schneckenkreatur soeben eine humanoide Frau fraß – und Anzu die nächste Position auf der Speisekarte bildete?
Willkommen im Chaoporter, dachte sie.Wo Träume wahr werden! Nur, dass es sich dabei um Albträume handelte.
Am Ende des Schneckenleibs saßen zwei dickere Fühler oder kleine Tentakel. Auch aus der Rückseite des gut zwei Meter langen Körpers ragte ein Aufsatz, fast wie eine Blume. Ja, auf seine Art war dieses Geschöpf schön, zweifellos, gerade dank der kräftigen, lila Umrandung.
Aber der Arm ...
... dieser Arm! Je genauer Anzu hinsah, umso mehr drehte sich ihr der Magen um. Den Blick abzuwenden, gelang ihr jedoch nicht, der Anblick war auf eine morbide Weise zu faszinierend.
»Fürchte dich nicht«, ertönte plötzlich eine Stimme, gesprochen in gutem, nahezu akzentfreien Interkosmo. Nur gab es keinen erkennbaren Sprecher dazu.
»Wenn ich wüsste, dass ich nicht gleich gefressen werde, könnte ich diese Empfehlung leichter umsetzen«, sagte Anzu.
»Gefressen?« Ein kurzes, abgehacktes Lachen. »Welch absonderliche Idee!«
Anzu deutete auf den Arm, der aus dem Scheckenleib ragte. »Ach?«
Sie hörte Schrittgeräusche hinter sich und drehte sich um.
Zum ersten Mal nahm sie ihre Umgebung richtig wahr; bislang war ihr Blick von der grotesken Schnecken-Arm-Kreatur gebannt worden. Der bizarre Anblick des lila gemusterten Kriechtiers, aus dem ein humanoider Arm hing, hatte sie zu sehr gefangen genommen.
Falls ihr Zeitgefühl sie nicht trog, hatte sich Anzu vor etwa zwei Minuten von ihren Begleitern getrennt. Der Quintarch Farbaud hatte drei Personen aus der RAS TSCHUBAI entführt – Alaska Saedelaere, Gry O'Shanno