: Susan Hill
: Die Frau in Schwarz
: OKTOPUS by Kampa
: 9783311703303
: 1
: CHF 14.30
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: Spannung
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der aufstrebende junge Anwalt Arthur Kipps reist aus London in den Norden, in das kleine Dorf Crythin Gifford, um der Beerdigung einer verstorbenen Klientin beizuwohnen und ihren Nachlass zu regeln: Mrs. Alice Drablow von Eel Marsh House, wohnhaft in einem abgelegenen Haus im Moor. Was zunächst wie eine routinemäßige Abwicklung der Formalitäten scheint, entwickelt sich zu einem Strudel von Ereignissen und lang gehüteten Geheimnissen, die schrecklicher sind als jeder Albtraum: ein Schaukelstuhl im verlassenen Kinderzimmer, das unheimliche Klappern von Pferdehufen, der Schrei eines Kindes im Nebel und - für Kipps das Schlimmste - immer wieder eine Frau in Schwarz. Die Ein- heimischen sind nicht bereit, über die beunruhigenden Ereignisse zu sprechen, und Kipps ist gezwungen, die wahre Identität der Frau in Schwarz auf eigene Faust herauszufinden. Ein verzweifelter Wettlauf gegen die Zeit ...

Susan Hill wurde 1942 in Yorkshire geboren. Ihre Geistergeschichten und die Kriminalromane um Simon Serrailler haben sie zu einer der popula?rsten britischen Schriftstellerinnen gemacht. Fu?r ihre Romane, Erza?hlungen und Jugendbu?cher wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter mit dem Somerset Maugham Award, und zum Commander of the British Empire ernannt. Susan Hill lebt in Norfolk in einem alten Bauernhaus, in dem in jedem Winkel Bu?cher stehen, die im Winter gut isolieren. Bislang erschienen im Kampa Verlag die Serrailler-Krimi Schattenrisse, Herzstiche und Phantomschmerzen, die Romane Stummes Echo und Wie tief ist das Wasser sowie die Geistergeschichten Die kleine Hand, Das Gema?lde und Die Frau in Schwarz.

Heiligabend


Es war Heiligabend, halb zehn. Vom Esszimmer, wo wir gerade das erste festliche Mahl der Feiertage zu uns genommen hatten, ging ich durch den Flur zum Wohnzimmer von Monk’s Piece, in dem meine Familie am Kamin saß, hielt inne und beschloss, kurz nach draußen zu gehen, wie ich es abends oft tue.

Ich bin schon immer gerne im Dunkeln rausgegangen, um frische Luft zu schnappen, egal, ob sie lau war und nach den Blumen des Hochsommers duftete oder beißend nach herbstlichen Feuern und verrottendem Laub roch oder stechend kalt von Frost und Schnee war. Ich schaue auch gern zum Nachthimmel hinauf, ganz gleich, ob der Mond scheint und die Sterne glitzern oder die Schwärze des Himmels vollkommen ist. Ich liebe es, in die Dunkelheit vor dem Haus zu blicken. Ebenso gerne lausche ich den nächtlichen Rufen der Tiere, dem Heulen des auf- und abschwellenden Windes, dem Geräusch von Regentropfen in den Obstbäumen, und ich genieße es, wenn ein Windstoß vom flachen Weideland im Flusstal den Hang zu mir heraufeilt.

Heute roch ich sofort – und es wurde mir gleich leichter ums Herz –, dass sich das Wetter änderte. Die ganze vergangene Woche hatte es geregnet, und Nebelschwaden hatten das Haus und die Gegend verhüllt. Vom Fenster aus konnte man nicht weiter als ein bis zwei Meter in den Garten sehen. Es war ungemütlich und trüb, als wollte es nie so richtig Tag werden. Da machte Spazierengehen keine Freude, zum Jagen war die Sicht zu schlecht, und die Hunde waren ständig schmutzig. Im Haus mussten den ganzen Tag die Lampen brennen, und die Wände der Vorratskammer, der Remise und des Kellers waren feucht und rochen muffig, die Feuer wollten nicht richtig brennen und qualmten.

Seit vielen Jahren beeinflusst das Wetter meine Stimmung, und ich muss gestehen, ohne die Fröhlichkeit und Geschäftigkeit im Haus wäre ich niedergeschlagen und teilnahmslos gewesen. Ich hätte die Vorweihnachtszeit nicht genießen können und mich ununterbrochen über meine Empfindlichkeit und Wetterabhängigkeit geärgert. Aber da schlechtes Wetter Esmé erst recht reizt, etwas zu unternehmen, waren die Weihnachtsvorbereitungen in diesem Jahr noch umfangreicher und überschwänglicher als sonst.

Ich trat aus dem Schatten des Hauses und sah mich im Mondlicht ein wenig um. Monk’s Piece steht auf einem Hügel, der sanft von dem Bach Nee ansteigt, der sich von Norden gen Süden durch diese fruchtbare, geschützte Gegend schlängelt. Unter uns dehnt sich Weideland aus, da und dort von kleinen Mischwäldern unterbrochen. Hinter dem Haus jedoch erstreckt sich eine völlig andere Gegend: mehrere Quadratkilometer Heideland, das von Dickicht durchzogen ist; ein Fleckchen Wildnis inmitten gut bewirtschaftetem Ackerland. Bis zur nächsten, gar nicht so kleinen Ortschaft sind es nur drei Kilometer, und elf bis zu einem größeren Ort. Und doch hat man hier das Gefühl, abgelegen und viel weiter von jeglicher Zivilisation entfernt zu sein.

 

Ich sah Monk’s Piece zum ersten Mal an einem Hochsommernachmittag, als ich mit Mr Bentley in seiner Kalesche unterwegs war. Mr Bentley war damals noch mein Chef, aber inzwischen bin ich der Sozius der Anwaltsfirma, in der ich als junger Mann als Anwaltsgehilfe angefangen hatte (und bei der ich auch mein ganzes Arbeitsleben blieb). Er näherte sich zu jener Zeit dem Alter, in dem es ihm angebracht erschien, die Zügel der Verantwortung nach und nach aus seinen Händen in meine gleiten zu lassen, obwohl er auch weiterhin wenigstens einmal die Woche nach London in unsere Kanzlei kam, bis er schließlich mit zweiundacht