4The Big Three-oh
Als wir Wanda Sessums’ Wohnung verließen, war Rodia Gardens zum Leben erwacht. Die Schule war aus, und die Drogendealer und ihre Kunden waren aufgestanden. Die Parkplätze, Spielplätze und verdorrten Rasenflächen zwischen den Sozialbauten füllten sich mit Kindern und Erwachsenen. Der Drogenhandel lief hier im Drive-through-Stil ab, mit einem komplizierten System aus Spähern und Lotsen aller Altersstufen, die Käufer durch das Straßengewirr der Wohnanlage zu einem Kaufplatz dirigierten, der im Lauf des Tages ständig verlegt wurde. Die Architekten, die Rodia Gardens entworfen und gebaut hatten, ahnten wahrscheinlich nicht, dass sie ein perfektes Milieu für dieses Krebsgeschwür geschaffen hatten, das auf die eine oder andere Art die meisten seiner Bewohner zerstören würde. Mir war das alles bekannt, weil ich für meine halbjährlichen Aktualisierungen zum lokalen Drogenkrieg regelmäßig Drogenfahnder des South Bureau begleitet hatte.
Ohne nach links und rechts zu schauen, überquerten wir mit gesenkten Köpfen eine Rasenfläche und steuerten auf unser Auto zu. Wir hatten nur ein Ziel: schnell weg von hier. Erst als wir unser Auto fast erreicht hatten, sah ich, dass ein junger Mann an der Fahrertür lehnte. Er trug unverschnürte Arbeitsstiefel, Bluejeans, die halb über seine blau gemusterten Boxershorts gerutscht waren, und ein fleckenloses weißes T-Shirt, das in der Nachmittagssonne fast leuchtete. Es war die Uniform der Crips-Zelle, die in Rodia Gardens das Kommando führte. Sie nannten sichBH-Zelle, was entweder Bounty Hunters oder Blood Hunters bedeutete, je nachdem, wer es sprayte.
»Na, Leute, wie geht’s so?«, sagte er.
»Alles klar«, sagte Lester. »Wir müssen wieder zurück an die Arbeit.«
»Seid ihr jetzt hier die Bullen?«
Lester lachte, als wäre das der beste Witz, den er seit Wochen gehört hatte.
»Nee, Mann, wir sind von der Zeitung.«
Lässig verstaute Lester seine Kameratasche im Kofferraum, dann ging er zur Fahrertür. Der junge Mann rührte sich nicht von der Stelle.
»Ich muss los, Bro. Könntest du mal eben ein Stück zur Seite rücken?«
Auf der anderen Seite des Autos spürte ich, wie sich mein Magen zusammenzog. Wenn es Ärger gäbe, dann jetzt und hier. Ich konnte andere junge Männer in der gleichen Gang-Uniform etwas abseits, aber abrufbereit auf der schattigen Seite des Parkplatzes stehen sehen. Mir war klar, dass alle Waffen hatten, entweder am Körper oder in der Nähe versteckt.
Der junge Mann, der an unserem Auto lehnte, rührte sich nicht von der Stelle. Er verschränkte die Arme und sah Lester an.
»Worüber hast du mit Momm da oben geredet,Bro?«
»Über Alonzo Winslow«, sagte ich von meiner Seite. »Wir glauben nicht, dass er jemanden umgebracht hat, und wollen der Sache nachgehen.«
Der junge Mann stieß sich vom Auto ab, damit er sich umdrehen und mich ansehen konnte.
»Tatsächlich?«
Ich nickte.
»Das ist es, wo wir gerade dran sind. Wir stehen noch ganz am Anfang, und deshalb sind wir hergekommen, um mit Mrs. Sessums zu reden.«
»Dann hat sie euch sicher von der Steuer erzählt.«
»Von welcher Steuer?«
»Na, dass sie Steuer zahlt. Jeder, der hier ein Geschäft hat, zahlt Steuer.«
»Aha.«
»Straßensteuer, Mann. Und deshalb müssen auch alle Zeitungstypen, die hier ankommen, um über Zo Slow zu reden, Straßensteuer zahlen. Ich ziehe sie jetzt gleich von euch ein.«
Ich nickte.
»Wie viel?«
»Heute sind es fünfzig Dollar.«
Ich würde es einfach auf die Spesenrechnung setzen und sehen, ob