Albinojunge
Uns-zwei gehen mit Cancy McKellar, dem Wangkummarra Song-Mann, die Traumpfade entlang. Das sind uralte Traumpfade, die in Gesang und Geschichten in die Landschaft geätzt und in unseren Köpfen und Körpern und Beziehungen mit allem, was uns umgibt, kartiert sind: Wissen, das in jedem Gewässer und jedem Fels gespeichert ist. Wir wandern durch das Corner Country, wo Queensland, South Australia und New South Wales zusammentreffen. Cancy macht meine Ahnenlinien ausfindig und zeigt mir, wo sich deren Geschichten mit den seinen verbinden.
Keiner von uns ist besonders dunkelhäutig, und vielleicht deshalb streicht er die Albino-Charaktere in seinen Überlieferungen besonders heraus. Eine weiße Eulenfrau mit heller Haut und blondem Haar, die eineGubbiwarlga wird, eine weise Frau, und sich schließlich in einen Quarzbrocken verwandelt. Ein Albinojunge, der in seiner Gemeinschaft durch ihm übel Gesinnte erst geächtet und schließlich verbannt wird. Als wir an die Stelle mit Steinen kommen, die von dem Albinojungen aufgestellt wurden, verschlägt es mir den Atem. In seiner Verbannung ließ er den Kopf nicht hängen, sondern arbeitete hart und mutete sich einiges zu.
Überall sind massive, behauene und glatt geschliffene Felsbrocken zu sehen, die der Junge auf aufrecht stehenden Steinen platziert und ausbalanciert hat, zu losen Pulks gestapelt oder zu Prozessionen aufgereiht. An dieser gewaltigen Stätte, zu der auch ein die Jahreszeiten und die Bewegungen der Himmelskörper anzeigender Sonnenuhrkalender gehört, stehen mehr Steine, als uns-zwei zählen können. Es ist mir unverständlich, warum ich bislang noch nie von diesem Ort gehört habe, warum er nicht so berühmt ist wie Stonehenge. Als ich meine Hand auf einen der Steine lege, spüre ich ein tiefesduum aus ihm aufsteigen, das, aus dem Boden kommend, durch meine Schulter bis hinunter in meine Eingeweide nachdröhnt, und denke, damit eine Antwort auf meine Frage erhalten zu haben.
Dies ist keine archäologische Stätte, an der Grabungen und Forschungen vorgenommen werden. Der Ort ist immer noch bewohnt. Der Junge ist nach wie vor da, und er wird keinen Wert auf uneingeladene Besucher legen. Der Ort ist kein Monument. Er lebt. Jeder Stein ist lebendig, ein fühlendes Wesen – in unserer Weltsicht gilt dies freilich für alle Steine. Weit weg von hier gibt es eine geheime Höhle,