Die Person
Viktor Frankl als Person und Persönlichkeit
Im ersten Teil des Buches ist uns Viktor Frankl durch seine Lebensgeschichte lebendig geworden. Wir hatten an manchen Stellen Gelegenheit, ihm zu begegnen – „ihm“, das heißt so viel wie derPerson Frankls. Da es in diesem Kapitel um Frankls Person und seine Persönlichkeit geht, sollen die beiden Begriffe kurz erklärt werden.
Die Person bedeutet die Fähigkeit des Menschen, durch die er sich selbst gegeben ist, durch die er sich und seine Welt erlebt, an ihr leidet oder sich an ihr freut. Wir sind der Person Frankls begegnet, sagten wir – das heißt, wir haben dasjenige in Frankl angetroffen, das erkennt, das in seiner Vernunft und Gewissenhaftigkeit entscheidet und sich zum Entschiedenen stellt oder sich von ihm löst und sich dadurch verantwortet. „Ihm“, das ist derjenige, der handelt und wirkt, der auf der Grundlage seiner Lebensgeschichte und seiner Persönlichkeit, seiner Anlagen, Fähigkeiten, Probleme, Defizite, Neigungen und Stärken handelnd in die Welt wirkt und an der Zukunft mitgestaltet. In der Begegnung treffen wir auf diePerson, auf jene Offenheit des Menschen, die aus demBezug zum anderen lebt und zugleich in derIntimität in sich selbst begründet ist. Aus dieser Dynamik der Wechselbezüglichkeit zwischen sich und anderen ist sie jene Kraft, die den Menschen in einenUmgang mit sich und der Welt bringt. In diesem Personkonzept Frankls (vgl. Frankl, 1959, 1990, 1991, 108–118), das auch die Grundlage der Personalen Existenzanalyse bildet (Längle, 1993c), stellt die Person jene Fähigkeit des Menschen dar, die hinter allem Leiblichen und hinter allen psychischen Begleitgefühlen und Bedürfnissen dasjenige ist, das den Menschen befähigt, mit den seelisch-körperlichen Gegebenheiten und mit den Dingen der Welt umgehen zu können. Durch die Person ist der Mensch kein bloß reagierender, keine Resultante aus Bedürfnissen und Strebungen, sondern der Entscheidende, der Handelnde, der Verantwortende, der Gewissenhafte. Der Mensch ist als Person nicht reaktiv, sondern akthaft. Unter Persönlichkeit werden hingegen die Charakteristika verstanden, die sich vor allem in der konstanten Verhaltensweise zeigen, wie z. B. Neigung zu Aggressivität, spontanes Sozialverhalten, konstante Problemneigung und Stärken. In der Einleitung zum Kapitel über Frankl und die Emotionalität wird eine ausführlichere Erklärung gegeben (vgl. S. 112).
Dieser Abschnitt ist der Aufgabe gewidmet, die Mosaiksteinchen der einzelnen Begegnungen zum Porträt zusammenzusetzen. Er soll aus den Konturen der Person und den Schattierungen der Persönlichkeit ein Profil entstehen lassen. Ein solches Bild kann natürlich nur eine Annäherung sein, und vor allem kann es nie eine tatsächliche Begegnung ersetzen. Unendlich mehr ist der Mensch, als von ihm gesagt werden kann. Alles Sprechen über einen Menschen bleibt hinter der eigentlichen Person, die er ist oder war, zurück. Je nach der Art der Begegnung kann sie noch viele zusätzliche Schattierungen und andere Gewichtungen erhalten, die immer auch bestimmt sind von der Person und Persönlichkeit des Wahrnehmenden. Trotz aller Begrenztheit der Aussagen, die sich über eine Person machen lassen, lässt sich doch Charakteristisches finden und ihr Wesen umschreiben.
Beginnen wir damit,wie Frankl in der breiten Öffentlichkeit gesehen wurde und was seinen Ruhm begründete. Was begründete das hohe Ansehen und den großen Respekt, der ihm weltweit entgegengebracht wurde? – Die Wirkung Frankls beruhte nach meiner Beobachtung vor allem auf zwei Wesenszügen. Sie h