: Katharina Würden-Templin, Ursula Schröder, Oliver Helmers, Anneli Klipphahn, Iris Voß, Elisabeth Büc
: Katharina Würden-Templin
: Gnade zieht ein 24 Weihnachtsgeschichten - mal besinnlich, mal heiter
: Bibellesebund Verlag
: 9783955684709
: 1
: CHF 8.00
:
: Erzählende Literatur
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
24 Weihnachtsgeschichten, die zu Herzen gehen. Sie wollen den Leser in der Weihnachtszeit begleiten und auf das Christfest einstimmen. Ideal zum Selberlesen und Verschenken. Besonderes Extra: Am Schluss des Buches sind zu jeder Geschichte Inhalt, Themen und die Lesezeit für die Verwendung in Gruppen angegeben.

Katharina Würden-Templin ist Redakteurin der Bibellese-Zeitschrift Pur und Projektkoordinatorin beim Bibellesebund. Ihr Herz schlägt dafür, Gottes Wort unter den Menschen bekannt zu machen - mit leicht verständlichen Bibelerklärungen, schönen Geschichten und kreativen Verkündigungen. Sie lebt mit ihrem Mann im Westerwald, wo sie sich als Prädikantin ehrenamtlich in ihrer Kirchengemeinde engagiert. Ihr Lebensmotto steht in ihrem Taufspruch: Psalm 105,1-2.

Das Vogelhäuschen

von Ursula Schröder

Von allen Geschenken, die Walter mir im Laufe unserer Ehe machte, habe ich mich über das Vogelhäuschen wohl am meisten gefreut. Dabei war es bestimmt nicht das kostspieligste, denn er hatte es auf dem Weihnachtsmarkt unserer Gemeinde gekauft. Aber er hatte offensichtlich gemerkt, dass es mir besonders gut gefallen hatte, und es deshalb zurücklegen lassen, ohne dass ich es mitkriegte. Umso mehr freute ich mich, als ich es Weihnachten unter dem Christbaum fand.

Jedes Jahr im Herbst hatte ich es seitdem auf der Terrasse aufgestellt und mich daran gefreut, wenn die Vögel sich dort regelmäßig ihre Körner abholten. »Ja, das passt zu dir«, sagte Walter dann lächelnd. »Du hältst hier tapfer die Stellung, während ich so ein Zugvogel bin.«

Ich hatte diesen Vergleich darauf bezogen, dass er Pilot war. Aber als nach seinem tödlichen Autounfall im Frühjahr die Wahrheit ans Licht kam, erfuhr ich, dass es viel schlimmer war. Jahrzehntelang hatte er ein Doppelleben geführt. Es gab in Hamburg eine andere Frau. Und eine mittlerweile erwachsene Tochter namens Viola, die mich gern kennenlernen möchte.

Seitdem liege ich mit Gott im Clinch.Ich will sie nicht treffen, schreie ich lautlos.Ich will gar nicht, dass es sie gibt! Ich will mein altes Leben zurück, mein ruhiges, unwissendes Leben mit dem Mann, dem ich vertraut habe! Ich will die Tochter nicht sehen, die er mit mir hätte haben sollen! Das kannst du mir doch nicht zumuten!

Aber Gott macht da nicht mit. Er nimmt mir diese Last nicht ab. In Form eines Gesprächs mit unserem Pastor redet er mir sogar zu: »Lass sie herkommen. Es ist besser, sie kennenzulernen. Du kannst doch nicht ignorieren, dass es sie gibt.« Und so stimme ich zu, weil mir die Argumente ausgehen.

Deshalb steht Viola eines tristen Novembertages im Hausflur. Ich hatte sie mir ganz anders vorgestellt, größer vielleicht, mit Walters blonden Haaren, aber sie scheint eher nach ihrer Mutter zu kommen, die ich nicht kenne.

»Danke, dass ich Sie besuchen darf«, sagt sie, und ich merke, dass sie genauso nervös ist wie ich.

Ich biete freundlich Tee und Kuchen an und versuche, das Gespräch auf einer Ebene zu führen, die ich aushalten kann. Wir reden über Hamburg und Violas Job als Grafikerin für eine Firma, die Geschenkartikel herstellt. Über die Fortbildung, für die sie gerade in der Gegend ist. Ich weiß nicht genau, mit welchen Erwartungen sie gekommen ist – vielleicht will sie einfach nur wissen, wer ich bin, vielleicht sagt sie aber später noch, ob sie ein spezielles Anliegen hat.

Irgendwann schweift ihr Blick nach draußen auf die Terrasse. »Ein Vogelhäuschen!«, ruft sie überrascht. »Wie schön! Ist das ein Rotkehlchen?«

»Das ist ein Dompfaff-Männchen«, erkläre ich ihr. »Nur er hat diese leuchtend rote Brust, das Weibchen ist viel dezenter.«

»Wie unfair!«, sagt sie lachend. »Und diese Gelben, die sogar kopfüber hängen können?«

»Das sind Kohlmeisen.«

»Wow«, murmelt sie. »Ich glaube, ich könnte hier stundenlang sitzen und einfach nur zusehen.«

Ich fühle, wie ich ein wenig entspannter werde. »Ich weiß, das hat so was Friedliches«, sage ich. »Aber eigentlich müsste ich das Häuschen mal generalüberholen, bevor es auseinanderfällt.«

»Ja, ich sehe es auch«, stimmt sie mir zu. »Vor allem am Dach müsste man etw