Kapitel2
Barbara saß missmutig am Tisch und wartete darauf, dass Frauke endlich aus Fedderwardersiel zurückkehrte.
Der Speisesaal in der Residenz war sehr geräumig und mit etlichen Tischen möbliert, an denen feste Gruppen von vier Personen saßen. Frauke gehörte zu der Gruppe von Barbara und ihrem Mann. Ein Stuhl war im Augenblick frei.
Überall standen große Grünpflanzen und Palmen in Hydrokulturen, die Fensterbänke waren stets passend zur Jahreszeit geschmückt. Im Augenblick sah man dort kleine Holzbäumchen, unten denen bunt bemalte Tulpen wuchsen.
Barbara hatte zuvor in ihrem Appartement, das sie sich mit ihrem Gemahl Heinz – Barbara sagte immer Gemahl, weil es in ihren Ohren vornehmer klang – teilte, roten Lippenstift aufgetragen und ihre grobgliedrige Goldkette angelegt. Dazu ein paar kräftige Sprühstöße des Parfüms Scandal, weil sie damit auffiel, denn die anderen Damen zogen Kölnisch Wasser vor. Aber das duftete ihr zu sehr nach einfachem Volk.
Ihre Freundin Frauke hingegen mochte es natürlich, was Barbara gar nicht verstehen konnte, denn sie war der Ansicht, dass man dem Alter am besten aktiv mit viel gutem Odeur entgegenwirken sollte. So oft war ihr schon zu Ohren gekommen, dass ältere Menschen rochen. Nicht mit ihr!
Sie war auf jeden Fall mit ihrem kleinen Wölkchen gegen solche Vorwürfe gewappnet, und ein bisschen Skandal auf der Haut machte doch nur interessant! Auch mit siebzig Jahren konnte man schließlich noch mit einer großen Portion Attraktivität aufwarten.
»Wartest du auf Frauke?«, fragte Heinz, der ihren Blick bemerkt hatte. Er steckte sich die Stoffserviette ins Revers und strich sie umständlich glatt, so wie alles, was er tat, umständlich und behäbig wirkte. Das war sicher ein Resultat aus seiner früheren Tätigkeit im Aufsichtsrat eines großen Limonadenkonzerns und im mittleren Management, wo ein Pokerface neben korrekter Haltung und nach außen getragener Ruhe ein Muss gewesen war. Seine Tätigkeit, gepaart mit der ruhigen Art, hatte ihnen ein überdurchschnittliches und solides Einkommen beschert, was ihnen nun ein Leben im Sonnenuntergang ermöglichte.
»Sie kommt sicher gleich.« Er prüfte noch einmal den Sitz der Serviette, war aber zufrieden mit dem Ergebnis.
Barbara bemerkte, dass seine Hände leicht zitterten. Wie so oft in der letzten Zeit.
»Ist was?«, fragte sie.
Er verneinte, aber sie nahm ihm die Unbekümmertheit nicht ab. Ihr Gemahl wirkte in der letzten Zeit fahrig, ganz anders, als sie es von ihm gewohnt war. Er reagierte manchmal ungewohnt unwirsch und wich jedem Gespräch aus, das sich um sein Befinden drehte, und wechselte dann stets das Thema – hin zu seinen Schinkenbroten am Abend oder dem anderen Essen, das er täglich mit großer Sorgfalt aussuchte.
Sie wurden unterbrochen, weil sich Frau Waltermann mit großen Schritten näherte, aber nicht auf ihre eigene Tischgruppe zusteuerte, sondern auf Barbara und Heinz zuhielt. Wie immer war sie auffällig gekleidet, heute hatte sie ein grelles Pink gewählt. Selbst ihre Brille war stets farblich akkurat auf die Kleidungsfarbe abgestimmt. Dafür gab sie bestimmt ein Vermögen aus, für Lippenstift, Nagellack und andere Restaurierungsversuche sowieso. Ihr Haar war blondiert, die Falten ließ sie sich regelmäßig beim Schönheitschirurgen Doktor Feuerlein weglasern oder aufspritzen. Barbara kannte die Methoden nicht so genau, aber sie beneidete Frau Waltermann ganz außerordentlich, denn mit glatt gebügeltem Gesicht sah man doch ein kleines bisschen besser aus als der Rest der Welt. Ihr Gemahl lehnte es allerdings ab, für so etwas zu zahlen, obwohl er sich sonst sehr großzügig zeigte.
Noch neidischer war Barbara allerdings auf die makellose Figur von Frau Waltermann. Sie zeigte kaum Fettpölsterchen an den Problemzonen und wirkte auch sonst kein bisschen schlaff.
Bestimmt hilft sie auch da nach, keine Frau in ihrem Alter besitzt normalerweise ein so pralles Gesäß, dachte Barbara. Sie hatte sicher gute Kontakte zu Doktor Feuerlein, der in der Gegend als Koryphäe auf dem Gebiet galt. Er war ein smarter Kerl mit Fliege und kariertem Anzug, der in der Klientel der sehr gut situierten Bewohnerinnen der Residenz großes Potenzial sah.
Frau Waltermann hatte offenbar etwas auf dem Herzen, was Barbara an der leicht vornübergebeugten Haltung erkannte. Ihre Lippen hielt sie gespitzt, und ihre Augen wanderten unruhig hin und her. Sie blieb wie erwartet am Tisch der beiden stehen und trommelte mit ihren lackierten Fingernägeln auf der Platte herum. Am kleinen Finger prangte ein Glitzersteinchen.
Zu Barbaras Genugtuung sah sie, dass