: H. D. Kittsteiner
: Jannis Wagner
: Out of Control Über die Unverfügbarkeit des historischen Prozesses. Herausgegeben und mit einer Einleitung von Jannis Wagner
: CEP Europäische Verlagsanstalt
: 9783863935795
: 1
: CHF 13.50
:
: Philosophie, Religion
: German
: 333
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Anhand von Kant, Schelling und Hegel wird hier noch einmal die Konstruktion des Sinns in der unbewussten Produktion der Geschichte aufgedeckt. Burckhardt bezweifelt ihn; Marx hält in seiner Weise daran fest. Mit Nietzsche beginnt eine neue Stufe des Geschichtsdenkens. Heidegger und Carl Schmitt stehen als Exponenten eines Blicks auf die Geschichte jenseits des geschichtsphilosophischen Sinns: Sie changiert nun zwischen 'Weltverdüsterung' und 'Freund und Feind'. Das Bedenken des in der Geschichte angerichteten größtmöglichen Übels bildet den Abschluss des Bandes. Entgegen der 'Gedächtniskultur' plädiert Kittsteiner für eine von geschichtsphilosophischen Fragen angeleitete Geschichtsschreibung. Mit dem Titel 'Out of Control' reagiert Kittsteiner auf Saskia Sassens 'Losing Control?'. Er fragt nach: 'Losing Control? Welche Kontrolle? Hatte Sie jemals bestanden? Die Geschichte im Zeitalter des Kapitalismus war nie unter Kontrolle des Menschen, darum ist ein Verlust nicht zu beklagen. Aus der Frage 'Losing Control?' wird die konstatierende Aussage 'Out of Control'.'

H. D. Kittsteiner (1942-2008) promovierte nach einem Studium der Geschichte, Germanistik und Philosophie 1978 bei Jacob Taubes über das Thema Naturabsicht und Unsichtbare Hand. Von 1980 bis 1983 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Seminar der FU Berlin bei Michael Theunissen. Von 1983 bis 1985 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie an der Universität Bielefeld bei Reinhart Koselleck tätig. 1988 habilitierte er sich mit der Schrift Die Geschichte des modernen Gewissens, mit deren Buchfassung er 1995 der erste Preisträger des Halberstädter Gleim-Literaturpreises war. Seit 1993 war er Professor für Vergleichende europäische Geschichte der Neuzeit an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Zahlreiche Veröffentlichungen u.a. Die Entstehung des modernen Gewissens, Frankfurt am Main 1991, Listen der Vernunft. Motive geschichtsphilosophischen Denkens, Frankfurt 1998, Mit Marx für Heidegger - mit Heidegger für Marx, Paderborn, 2005 Wir werden gelebt. Formprobleme der Moderne, Berlin 2005, Weltgeist, Weltmarkt, Weltgericht, München 2008, 2010 Die Stabilisierungsmoderne. Deutschland und Europa 1618-1715. Einleitung von Jürgen Kaube, München 2010

Zur Einführung


„Mir missfällt der Gedanke, mein Leben
nicht unter Kontrolle zu haben.“

Neo, in: Matrix I
0 h – 25 min – 47/50 sec.

I. Erläuterung des Umschlagbildes


Umständlich erklärt Giambattista Vico seinen Lesern das Frontispiz seines Werkes von der „Neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker“. Die Metaphysik in ekstatischer Haltung blickt in Gottes schauendes Auge der Vorsehung. Der Lichtstrahl von dessen Vorsehung bricht sich am Brustpanzer der Metaphysik, und ein Strahl dieses Wissens fällt auf die Statue Homers. Und indem Vico die poetische Weisheit Homers in seine neue Wissenschaft umformt, entsteht eine „rationale politische Theorie der göttlichen Vorsehung.“ Die Ausdeutung dieser Allegorie mitsamt allen emblematischen Details umfasst 42 Paragraphen auf 36 Druckseiten.1 Das Bild auf dem Titelblatt dieser Aufsatzsammlung ist einfacher zu erklären. Es handelt sich um einen Bühnenbildentwurf von Giorgio de Chirico zu einer Aufführung der Oper „Mefistofele“ des Arrigo Boito in der Mailänder Scala 1951/52.2 Boitos Adaption des Goetheschen Fausts fiel im Oktober 1875 in Bologna bei der Uraufführung durch, geriet in den Schatten von GounodsMargarete und wird relativ selten gespielt. De Chiricos Blatt bezieht sich auf den Prolog.

„Die Sonne tönt nach alter Weise
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.“

„Der Anblick gibt den Engeln Stärke,
Da keiner dich ergründen mag,
Und alle deine hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.“

„AVE, Signore de gli angeli e dei santi e dei volanti cherubini“ beginnt es bei Boito.3 Doch die hohen Werke sind bei de Chirico etwas durcheinander geraten, Sonne, Saturn, stürzende Sterne, Kometen. Der extraterrestrische Beobachter ist ebenso klein wie ratlos angesichts dieser chaotischen Himmelsmechanik. Ist denn nicht Gott ihr Schöpfer und Erhalter? Und vor allem: Galten nicht diesupralunarischen Bewegungen am Himmel als ewig und vollkommen – im Gegensatz zursublunarischen Welt des Menschen und seiner Geschichte?

Kant in seiner „Idee zu einer allgemeinen Geschichte“ hatte diese Ordnung der Natur noch der Unordnung der Geschichte entgegengesetzt: „Denn was hilfts, die Herrlichkeit und Weisheit der Schöpfung im vernunftlosen Naturreiche zu preisen und der Betrachtung zu empfehlen, wenn der Theil des großen Schauplatzes der obersten Weisheit, der von allem diesem den Zweck enthält, – die Geschichte des menschlichen Geschlechts – ein unaufhörlicher Einwurf dagegen bleiben soll, dessen Anblick uns nöthi