Gut einen Monat nach der Mitteilung von Premierminister David Ben Gurion in der Knesset Ende Mai 1960, Eichmann befinde sich in israelischem Gewahrsam1 und werde vor Gericht gestellt, schrieb Arendt an ihre Freundin Mary McCarthy, sie »spiele so halb mit dem Gedanken«, als Berichterstatterin nach Jerusalem zu gehen, und sprach von der »Versuchung«, die sie empfinde.2 Sie wandte sich an die Redaktion des auflagenstarken und finanzkräftigen WochenmagazinsThe New Yorker, »eine in Amerika sehr angesehene Zeitschrift« (EJ, S. 12). In dem Hochglanzmagazin hatte sie bis dahin nicht publiziert.3 Die Tatsache aber, dass derNew Yorker gelegentlich fundierte, gut recherchierte Reportagen veröffentlicht hatte, brachte Arendt auf die Idee, der Redaktion zu schreiben. Eine Rolle spielte fraglos auch der Umstand, dass die Zeitschrift in der Lage war, Arendts Aufenthalt in Jerusalem zu finanzieren.
Die Leitung desNew Yorker war mit Arendts Vorhaben einverstanden. McCarthy teilte sie mit: »Ich habe entschieden, daß ich beim Eichmann-Prozeß dabei sein möchte, und an denNew Yorker geschrieben. (Nur drei Zeilen, nichts Ausgearbeitetes.)« Der Herausgeber William Shawn habe sie angerufen und »schien einverstanden, daß ich für sie fahre – mit der Vereinbarung, daß er, was immer ich vielleicht produziere, nicht drucken muß, daß sie aber meine Kosten übernehmen oder zumindest den größeren Teil davon. Das paßt mir gut.«4 Im Brief an Kurt Blumenfeld heißt es im Oktober 1960: »Der New Yorker will es mit mir versuchen, d. h. mir meine Spesen zahlen, auch wenn sich herausstellen sollte, daß was ich schreibe für das Blatt doch nicht geeignet ist. Aber wir hoffen – nämlich New Yorker und ich –, es könnte klappen.«5 Die in Kritiken wiederholt vorgebrachte Meinung, Arendt sei vomNew Yorker beauftragt worden, ist mithin unzutreffend. Gänzlich abwegig ist auch die Behauptung, das Magazin habe Arendt Vorgaben bezüglich ihrer