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Wenn sie kommt, wirst du es merken, wenn sie kommt, wirst du es merken, wiederholte Jon stumm. Sie kam und ging, und er merkte es erst zwei Stationen später. Er hatte sie gezählt, bevor er in die Metro stieg. Acht Haltestellen. Und er zählte, weil er die Schilder an der Wand in den Stationen nicht sehen konnte. Weil die dicht gedrängten Leiber und Köpfe der Pariser zur belebtesten Zeit des Abends die Türen versperrten. Also zählte er und stand in der Mitte und zog bei jeder Haltestelle eins ab. Drei hatte er noch, und genau da begann er zu wiederholen: Wenn sie kommt, wirst du es merken. Und dann dachte er an Estelle, die zu Hause in der Wohnung neben dem Telefon saß und ihre Flugblatt-Kampagne für stark frequentierte Straßenecken, Bushaltestellen und U-Bahn-Linien organisierte, und jetzt merkt er, dass er zwei Haltestellen zu weit ist.
»Scheiße«, murmelt er, und ein Mann mit einer Tasche voller Lebensmittel sieht ihn verständnislos an.
Geplant war, dass Jon vor dem Ansturm um sechs Uhr Stellung bezog, um in der Metro-Station Gare du Nord die Flugblätter zu verteilen, aber er kehrte auf einen Drink ein, aus dem drei wurden. Er weiß, dass Estelle es nicht erfahren wird. Sie lässt das Telefon nicht aus den Augen für den Fall, dass die Polizei anruft. Und sie verlässt sich darauf, dass er seine Sache gut macht. Aber er hatte einen Drink gebraucht. Er kann nicht anders, als etwas zu trinken, bevor er mit einem Stapel orangefarbener Flugblätter in die Metro steigt, in der Mitte ein Foto seiner neunjährigen Tochter umgeben von »AIDEZ-NOUS À RETROUVER JENNIFER« in fetten schwarzen Buchstaben. Er kann einfach nicht anders.
Die Metro hält, und er drängt sich inmitten einer Menschenmenge aus der Tür. Er lässt sich mit ihr durch die Gänge der Haltestelle Rue Montmartre treiben. Er muss Treppen hinauf und hinunter und durch einen rundlichen Korridor, um auf die andere Seite der Gleise zu gelangen. Überall Menschen in steter Bewegung, bereit nach Hause zu gehen, die Beine hochzulegen, zu Abend zu essen, ihre Zeitung zu lesen. Der Zug fährt ein, und diesmal konzentriert er sich, steigt spät ein, damit er in der Nähe der Tür bleiben und aus dem Fenster schauen kann. Zwei Haltestellen zurück zum Gare du Nord, wo fünf Metro-Linien und halb Paris aufeinandertreffen, und es alle Arten von Gesichtern gibt – alte, hübsche, abgespannte, lachende, skeptische, weiße, braune, runde, schmale, kindliche, eingefallene. Keines davon ist Jennifers. Kein kleines Mädchen mit dünnem gewellten Haar und grünen Augen, in Jeans und mit einem pinken Rucksack und einer dicken Jacke. Zwei Monate, und nichts war geschehen. Seit zwei Monaten schwirrt sie so durch seinen Kopf. Er bleibt am Fuß der Rolltreppe inmitten einer unruhigen Menschentraube stehen und verteilt die orangefarbenen Flyer. Manche nehmen sie, andere ignorieren sie. Wer einen nimmt, faltet ihn und steckt ihn ein, ohne einen Blick darauf zu werfen. Vielleicht werden sie ihn später finden, wenn sie in ihre Hosen- oder Handtaschen greifen, um noch ein Brot auf dem Nachhauseweg zu kaufen. Dann werden sie sich wundern:Wie ist der hierhergekommen? Und er fragt sich das Gleiche. Dieser Tag, dieser Augenblick, dieser Weg hierher, dieses Stehen an der Rolltreppe. Wie ist er hierhergekommen? Dieses langsame, langsame Ticken der Uhr. Die Menschenmenge löst sich allmählich auf, als die Abstände zwischen den Bahnen länger werden. Von den zwei