: Alexander Gallus
: Revolutionäre Aufbrüche und intellektuelle Sehnsüchte Zwischen Weimarer Republik und Bundesrepublik
: CEP Europäische Verlagsanstalt
: 9783863935788
: 1
: CHF 20.50
:
: Politische Theorien und Ideengeschichte
: German
: 326
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die 'vertrackte Revolution' von 1918/19 beflügelte Hoffnungen und Visionen, mündete aber bald in Ernüchterung und Klagen. Während unter Linksintellektuellen ein ausgeprägter Wunsch nach stärkerer Demokratisierung herrschte, missbilligten die antiliberalen Vertreter einer intellektuellen Rechten die Republik grundsätzlich. Ihr Revolutionsenthusiasmus dagegen ging in eine 'konservative' oder 'nationale' Richtung. Solche Interpretationsversuche verschwisterten sich auch mit Verschwörungstheorien wie die der Dolchstoßthese und trugen dazu bei, die erste deutsche Demokratie zu delegitimieren. Historische Deutungskämpfe und intellektuelle Wunschbilder, die 1918 aufkamen und sich rasch verselbständigten, überdauerten die Zäsuren. Sie schimmerten in der Restaurationskritik der frühen Bundesrepublik ebenso durch wie in der 'Weltbühnen'-Sehnsucht früherer Autoren der legendären Zeitschrift. So waren hartnäckige Nonkonformisten von links ebenso wie frühere Vertreter der 'konservativen Revolution' nach dem Nationalsozialismus herausgefordert, ihre Demokratietauglichkeit unter Beweis zu stellen. Alexander Gallus eröffnet Einblicke in die Geschichte der Intellektuellen in Deutschland während des wendungsreichen 20. Jahrhunderts und erörtert, wie modellierbar Staats- und Demokratieverständnis gewesen sind und auf welche Weise Gesellschaftskritiker ihren Standort und ihre Rolle in unruhigen Zeiten zu behaupten suchen.

Alexander Gallus, Jahrgang 1972, studierte Geschichte und Politikwissenschaft in Berlin und Oxford. Nach seiner Zeit als Juniorprofessor für Zeitgeschichte - Geschichte des politischen Denkens an der Universität Rostock folgte er einem Ruf auf den Lehrstuhl für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Chemnitz. Dort leitet er auch den Forschungsbereich zur Intellectual History des 20. und 21. Jahrhunderts. Zu seinen Publikationen zählen u. a.: Heimat 'Weltbühne'. Eine Intellektuellengeschichte im 20. Jahrhundert, Göttingen 2012; Die Neutralisten. Verfechter eines vereinten Deutschland zwischen Ost und West 1945-1990, 2. Aufl., Düsseldorf 2006; (als Hrsg. mit S. Liebold und F. Schale) Vermessungen einer Intellectual History der frühen Bundesrepublik, Göttingen 2020; (als Hrsg. mit A. Schildt) Rückblickend in die Zukunft. Politische Öffentlichkeit und intellektuelle Positionen in Deutschland um 1950 und um 1930, Göttingen 2011; (als Hrsg. mit P. Burschel und M. Völkel) Intellektuelle im Exil, Göttingen 2011; (als Hrsg.) Die vergessene Revolution von 1918/19, Göttingen 2010.

Einleitung


Am Anfang steht die Revolution, die Revolution von 1918/19. Sie markiert das Ende der Monarchie und den Beginn der Demokratie in Deutschland. Für einen Intellektuellen wie Carl von Ossietzky war sie der hoffnungsfrohe Ausgangspunkt auf dem Weg in eine neue Zeit, die es aktiv zu gestalten galt. Der große Religionssoziologe Ernst Troeltsch sprach in geradezu poetischer Weise von einem „Traumland der Waffenstillstandsperiode“, das weit mehr als die wieder aufzuräumende Trümmerlandschaft einer zerstörten Vergangenheit sein sollte und den Blick nach vorne eröffnete. Es ließe sich sogar behaupten, dass ab dem Herbst 1918 ein Überschuss an Zukunftserwartungen herrschte, mit ganz unterschiedlichen Hoffnungen und Visionen für eine bessere, neu zu formende Welt. Was konnte fundamentale Umgestaltung anderes bedeuten als Revolution? Carl von Ossietzky jedenfalls hat sie sich im März 1919 – wie auf dem Umschlagfoto dieses Bandes zu sehen – in großen Lettern als ein Statement in den Schoß gelegt, eine Revolution mit Ausrufungszeichen. Dabei hatten Ossietzky und seine intellektuellen Mitstreiter im Frühjahr 1919 bereits so große Zweifel an Reichweite und Erfolg der stattgehabten Revolution, dass wohl eher ein Fragezeichen hätte gesetzt werden müssen: Revolution! Revolution?

So mag man dieses Foto aus den Tagen der jungen Weimarer Republik als Allegorie für einen enttäuschten revolutionären Aufbruch nehmen, zugleich aber auch für den anhaltenden Drang gerade der Geistesarbeiter, sich nicht mit einem in die Sackgasse geratenen Wandlungsprozess abzufinden, sondern den Revolutionswunsch wachzuhalten. Wer eine weniger emblematische Interpretation bevorzugt, wird auf dem Bild zunächst den Lektor des frisch gegründeten Hamburger „Pfadweiser“-Verlags erkennen, der eine Ausgabe der WochenschriftRevolution! präsentiert. Dieses Blättchen erschien dabei nicht einmal in seinem Verlagshaus, sondern wurde lediglich über den Zeitschriftenverleih des „Pfadweiser-Zirkels“ vertrieben, der auch Ret Maruts (B. Traven)Der Ziegelbrenner im Portfolio führte. Mithin Zeitschriften, die sich anarchistischem Gedankengut verschrieben hatten, gegen Parlamentarismus und Reformismus, ja gegen alle „Erwürger der Revolution“ publizistisch stritten, wie in der Ausgabe derRevolution! vom 15. März 1919 zu lesen war.

Eine scharfe richtungspolitische Entscheidung, die den Anarchismus zum Programm erhob, vermied der Verlag allerdings, der insbesondere – das kam auch in Ossietzkys Engagement zum Ausdruck – monistische und pazifistische Anliegen förderte. In erster Linie und ganz grundsätzlich verstand er sich jedoch als „Pfadweiser zur Bildung und Weltanschauung“ und wollte in den stürmischen Umbruchszeiten an der Entwicklung von „Richtlin