1. Kapitel:
Ein Physiker für den Geheimdienst
Der Anruf aus Berlin kommt am 31. August 1939 gegen 16 Uhr. »Großmutter gestorben.« Auf diese Worte hat Alfred Naujocks in seinem Hotel im oberschlesischen Gleiwitz (polnisch: Gliwice) seit mehr als zwei Wochen gewartet. Sie sind das Startsignal für die bisher wichtigste Geheimoperation des 27-jährigen SS-Sturmbannführers. Naujocks hat sich im berüchtigten Sicherheitsdienst, dem Geheimdienst der SS, in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht: Morde, Bombenanschläge und Spezialaufträge im Ausland sind das Metier des glühenden Nationalsozialisten. Die geplante Aktion in Gleiwitz ist von besonderer Tragweite, der Befehl dazu kommt von ganz oben. Reinhard Heydrich, der Chef des Sicherheitsdienstes, hat Naujocks persönlich damit beauftragt. Heute Abend soll es also wirklich beginnen.
Gleiwitz liegt nur wenige Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Nordwestlich der Stadt ragt der »Schlesische Eiffelturm« 118 Meter in die Höhe, ein Rundfunksender aus Holz, der ein wenig an das berühmte Wahrzeichen von Paris erinnert. Um Punkt 20 Uhr stürmt Naujocks mit sechs bewaffneten SS-Männern – alle als Zivilisten getarnt – das Stationsgebäude neben dem Sender. Die Angreifer schießen wild um sich, überwältigen das Personal der Radiostation und dringen in den Senderaum ein. Doch ihnen ist ein grober Fehler unterlaufen: Entgegen ihren Erwartung