Doch so fangen Märchen an
Alles sehnt sich nach ihm, denkt Bruno. Es ist immer dasselbe. Die Aufregung. Das Kribbeln. Wie viel einfacher wäre es früher gewesen, als ich noch jung war, und schön. In meinem Alter kann man nur noch hoffen.
Bruno hofft jeden Tag, an die zwanzig Male: in der Bahn, auf dem Markt, im Kino. Zwanzigmal am Tag, hundertvierzigmal die Woche, aber, ach, dieser eine Moment, der war besonders.
Ein tiefer Blick durch die Augen in die Seele. Ein Erkennen, vertraut!
Dass mir das noch einmal passiert. Ich habe schon mit dreißig gedacht, dass ich zu alt bin … und jetzt fühle ich mich wieder wie zwanzig.
Bruno durchquert das Wohnzimmer, betritt seinen großen Balkon und schaut auf die Straße hinunter. Es ist ein sonniger Tag, einer der letzten im Mai. Die Stadt erfreut sich am Frühling und keine kann das so wie Berlin.
Bruno atmet tief durch.
Dann dreht er sich um und blickt in die Wohnung hinein.
Der Einrichtung hat er sich mit viel Sorgfalt und Liebe gewidmet, auf gekonnte Weise Möbel, Farben und Materialien der zwanziger und der fünfziger Jahre miteinander kombiniert: Filigranes neben Wuchtigem, Verspieltes neben Geradlinigem, dunkle, warme Töne neben leichter Helligkeit in Pastellfarben, ein Wohnkonvolut aus Nierentischchen und Tütenlampen, aber auch zwei Kristalllüstern, antiken französischen Vitrinen aus Nussbaum und Bücherschränken aus Mahagoni. Massiv das Sofa, futuristisch die Cocktailsessel in Veloursamt.
Wie wird das alles auf ihn wirken? Wie werde ich auf ihn wirken!?
Unruhig schaut er nach seinem Spiegelbild in der Fensterscheibe, kontrolliert den Sitz seiner Haare und betrachtet mit einigem Unbehagen seine Silhouette, Schwerpunkt Taillenumfang.
Egal, da muss man durch.
Was ich bin, habe ich dir zu geben, beginnt es in ihm zu dichten.
Dass dem jungen Mann an seinen, Brunos, inneren Kostbarkeiten liegt und er glücklich ist, wenn er auf seine, Brunos, Echtheit stößt, danach sehnt sich Bruno.
Unsere Herzen werden klingen …, dichtet es in ihm weiter.
Ein Lachen ertönt vom Nachbarbalkon. »Na, da können schon noch eenige Pfunde runter!«, ruft Frau Horn von nebenan, und Bruno stolpert mit rotem Kopf ins Wohnzimmer zurück und verheddert sich kurz in der Gardine.
Unruhig fährt er sich mit der Hand durch die Haare. Und auf einmal ist er glücklich.
Flieder leuchtet auf dem Sofatisch, mit den Fingerspitzen fährt Bruno über die kleinen Blüten in Lila und Weiß. Düfte sind die Gefühle der Blumen,