Die Privatvorstellung
Valerie Puschner
»Bin ich die Erste?« ImLichtspielhaus Milano ist das eine berechtigte Frage. Obwohl das kleine Kino in ihren Augen eine Institution ist, kommt es gerade im Sommer an einigen Abenden unter der Woche gerne einmal vor, dass man unfreiwillig eine private Filmvorführung bekommt. Seit über einem Jahrzehnt ist Marie ganz verliebt in das heimelige kleine Kino mit seinem einzelnen Saal, den plüschigen blauen Sitzen, der Popcorn-Maschine aus den 80er-Jahren und dem ausgeklügelten Pfand-System. Den Besitzer kennt sie sogar persönlich – und weil sie weiß, dass es um seine Finanzen gerade im Juli und August nicht immer zum Besten steht, geht sie manchmal einfach wieder nach Hause, wenn niemand außer ihr für die Vorstellung erscheint. Doch ehe sie an diesem Abend echte Gewissensbisse wegen der nur für sie verursachten Stromkosten bekommen kann, schüttelt die junge Frau hinter der Kasse lächelnd den Kopf.
»Die Zweite.« Ein guter Tag also. Die Kassenkraft zieht mit einem schiefen Lächeln die Schultern hoch und wirft einen Blick auf die Uhr. 20:13. In zwei Minuten beginnt das Vorprogramm. Das ist noch so eine Sache, die sie amMilano schätzt, man kann bedenkenlos pünktlich sein, ohne eine halbe Stunde Werbung erdulden zu müssen. »Aber dabei bleibt es für heute vermutlich. Sobald Sie oben sind und sitzen, mache ich die Tür zu und starte die Vorstellung. Kommt noch etwas zum Ticket dazu?«
»Eine Fanta, bitte.« Im Kino Fanta zu trinken gehört für sie einfach dazu. Ihr Vater, der sie mit der Attraktion Kino vertraut gemacht hat, ist ein vehementer Gegner von Popcorn und Marie fühlt sich bis heute irgendwie schlecht, wenn sie mit der raschelnden Tüte die anderen Besucher nervt und sich gleichzeitig die Zähne ruiniert. Aber eine Fanta muss sein, so viel Zucker war gerade noch erlaubt. Besonders wenn man sich einen so wenig süßen und so wenig sommerlichen Film wieShining ansieht. Sie bedauerte immer noch, die DVD bei ihrem letzten Umzug durch den ungeschickten Aufbau ihres neuen Betts zertrümmert zu haben.
Die Kassenkraft öffnet die Fanta für sie und folgt ihr die Treppe hoch zu dem Kinosaal. Sie wünscht ihr mit einem Flüstern viel Spaß und dimmt die Lampen an der Decke des Saals ein wenig. Nachdem die Tür hinter ihr sanft ins Schloss gefallen ist, konzentriert sie sich darauf, den Weg zu ihrem Lieblingsplatz zu finden. Mit