1.
Der Auftrag und die Diagnose kamen am selben Tag. Dafür konnte er nichts. Den ersten Termin bei seinem Hausarzt hatte er schon vor fünf Wochen gemacht. Die Nackenschmerzen ließen sich kaum mehr aushalten. Hank hatte alles versucht – Gymnastik, warme Umschläge, Salben –, er war sogar schwimmen gegangen, obwohl er Schwimmbäder hasste, hatte sich an einem Donnerstagmorgen zwischen Schulkindern und Rentnern im Agrippabad herumgedrückt.
Nichts half. Die Verspannungen im Nacken lösten sich nicht auf.
Der Arzt war freundlich gewesen, er hatte ihm eine Spritze verpasst – »zur Lockerung« der verspannten Körperpartie – und ihn dann noch zum Röntgen geschickt.
»Brauchen Sie eine Krankschreibung?«, hatte er zum Abschied gefragt.
Hank hatte verneint, wie er es immer tat. »Nein«, hatte er gesagt, »ich bin Privatgelehrter.«
Privatgelehrter – das Wort hatte er einmal aufgeschnappt, und es gefiel ihm. Es hörte sich nach 19. Jahrhundert an, nach intensiven Studien, nach langen Aufenthalten in Bibliotheken und ein paar ausgewählten Schülern, die an seinen Lippen hingen.
Nie hatte sich jemand nach Einzelheiten erkundigt – allenfalls tauchte die Frage auf: »An der Universität zu Köln?«
Hank verneinte stets. »In Bonn.«
Aber seine längere Antwort war er nur einmal losgeworden – ausgerechnet bei einer wunderschönen Zahnarzthelferin mit kirschroten Lippen. »Ich bin Biologe. Ich forsche mit einem kleinen Team über den Quastenflosser, auch Coelacanthimorpha. Ein Knochenfisch aus der Klasse der Fleischflosser.«
Die Zahnarzthelferin hatte beeindruckt gelächelt. Sie zu einem Abendessen einzuladen, hatte er nicht gewagt.
Eine Zeit lang hatte er sich tatsächlich mit dem Quastenflosser beschäftigt – wie mit exotischen Fischen überhaupt. Er ging gern in das Aquarium am Zoo, mitunter drei Tage hintereinander, besonders wenn es regnete. Dann wieder spielte er an den Vormittagen in einem Café in der Südstadt Schach gegen einen Computer, oder er saß einfach im Museumscafé und schaute sich die Leute an.
Hank hatte Zeit.
Je nach Auftragslage. In den letzten zwei Jahren hatte er zwei Aufträge im Jahr erledigt.
Hieß vier Morde insgesamt. Jeder brachte ihm fünfundzwanzigtausend Euro. Viel mehr brauchte er nicht. Er lebte ein unauffälliges, bescheidenes Leben, und der Richter hatte ihm versichert, dass die Morde alle gerechtfertigt seien. Hank tötete mit seinem Präzisionsgewehr oder mit einer unregistrierten alten Militärpistole nur Menschen, die der Justiz entkommen waren. Der erste Tote war ein Vergewaltiger gewesen, den man nicht hatte verurteilen können, weil die Kriminaltechnik mit unsauberen DNA-Spuren gearbeitet hatte. Hank hatte dem leicht verfetteten Mann, den er auf dem Parkplatz eines Möbelhauses in der Abenddämmerung erwischt hatte, die Schuld auch hundert Meter gegen den Wind angesehen.
Außerdem konnte er sicher sein, dass der Richter keine Fehler machte – er war schließlich vor seiner Pensionierung Kammergerichtspräsident gewesen, ein honoriger Mann, den die Lücken in den Gesetzen zur Weißglut brachten.
Hank hatte schon gedacht, er könne das Jahr gemütlich ausklingen lassen, als die SMS angekommen war. Sie lautete immer gleich: »Ihre Brille kann abgeholt werden.«
Er wusste gar nicht mehr, wie der Richter auf diese Losung verfallen war. Das be