: Peter Henisch
: Der Jahrhundertroman
: Residenz Verlag
: 9783701746439
: 1
: CHF 15.30
:
: Erzählende Literatur
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein wunderbar ironischer Roman über eine junge Frau, einen alten Mann und die Kraft der Literatur. Als Buchhändler war der alte Herr Roch stets von Büchern umgeben, nun hat er selbst einen 'Jahrhundertroman' geschrieben. Es soll darin um Literatur gehen - von Musil und Roth bis zu Bachmann und Handke. In Geschichten, in denen der Möglichkeitssinn die Wirklichkeit oft ausblendet. Die Studentin Lisa, Kellnerin in Rochs Stammcafé, soll das Manuskript für ihn abtippen. Da sie Rochs Schrift nicht lesen kann, will er ihr diktieren, doch alles ist heillos durcheinandergekommen. Zwischen dem alten Mann, der voller Geschichten steckt, und der jungen Frau, die ihm nicht alles glaubt, entwickelt sich eine ambivalente Beziehung. Doch Lisa hat auch andere Sorgen: Ihre Freundin Semira soll abgeschoben werden. Kann Rochs Bücherlager ihr Zuflucht bieten?

Peter Henisch, geboren 1943 in Wien. Nachkriegskindheit, Wiederaufbaupubertät. Studium der Philosophie und Psychologie. 1969 gemeinsam mit Helmut Zenker Begründung der Zeitschrift 'Wespennest'. Seit den 1970er­Jahren freischwebender Schriftsteller. 1975 erschien Henischs erster Roman 'Die kleine Figur meines Vaters', seitdem zahlreiche Romane, u. a. 'Die schwangere Madonna' (2005), 'Eine sehr kleine Frau' (2007), 'Mortimer und Miss Molly' (2013), 'Suchbild mit Katze' (2016). Zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Österr. Kunstpreis. Zuletzt im Residenz Verlag erschienen: 'Der Jahrhundertroman' (2021).

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Zwei Euro pro Seite, hatte Herr Roch gesagt. Zwei Euro pro Seite würde er ihr bezahlen. Es ginge darum, ein Manuskript abzutippen. Ein Manuskript, an dem ihm gelegen sei.

Sie würde sich etwas dazuverdienen und ihm würde sie einen Gefallen tun. Einengroßen Gefallen, denn an diesem Manuskript sei ihmviel gelegen. Es handle sich nämlich um einen Roman. Um einen Roman, an dem er seit Jahren schreibe und an dem er, wenn sie ihn recht verstanden hatte, noch weiterschreiben wolle.

Aber zuerst ginge es darum, das Vorhandene zu überblicken.

Das Wortüberblicken aus dem Mund des Herrn Roch! Beinahe peinlich – der alte Mann war extrem kurzsichtig. Sein Blick durch die dicken Brillen tat ihr fast weh.

Wenn er die Zeitungen las, tief über den Tisch gebeugt, an dem er für gewöhnlich saß, dem Tisch in der Ecke neben dem Notausgang, verwendete er zusätzlich eine kleine Lupe. So eine, wie sie die Markensammler gebrauchten, die sich jeden Dienstag hier trafen. Das war einer der Tage, an denen Lisa relativ viel zu tun hatte. Auch am Freitag tat sich einiges, da kamen die Damen, die Canasta oder Tarock spielten. Sonst war der Job im Café Klee eher beschaulich.

Aber ist dir da nicht stinklangweilig? hatte Ronnie gefragt.

Als er sie noch manchmal abgeholt hatte, also am Anfang des Semesters.

Da ist ja nichts los, hatte er gesagt, ich würde das keine zwei Wochen aushalten.

Lisa hielt es schon mehr als zwei Monate hier aus.

Das hier war einmal eine gute Gegend, sagte die Chefin, das Geschäft hat floriert. Das kann man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen. Damals haben wir hier noch zwei Billardtische gehabt und eine eigene Backstube haben wir betrieben. Da sind noch Cremeschnitten und Torten in der Vitrine gelegen, nicht nur die paar Schokobrezel und Manner-Schnitten.

Trotzdem sollte Lisa manchmal die Scheiben der Vitrine polieren. Es durfte ja nicht so aussehen, als hätte sie nichts zu tun. Und die Tischplatten aus echtem Marmor, von denen einige zwar schon Sprünge, aber immer noch eine gewisse Würde hatten, sollte sie bitte abwischen. Auch wenn noch gar niemand darauf gefrühstückt hatte.

Wenn sich Lisa dann in eine der mit ehemals grünem Samt tapezierten Nischen setzte und ihren Laptop aufklappte, hatte Frau Resch allerdings nichts dagegen. Sie ging davon aus, dass ihre Aushilfe etwas für die Uni