drei
Am Dienstagmorgen wölbte sich der Himmel wie eine graue Kuppel über der ausgedörrten Stadt, und mochte der silbrige Dunst auch Regen versprechen, der die stickige Luft erfrischen könnte – er fiel nicht.
Für Irene Redfield war dieser weiche Dunstschleier ein weiterer Grund, nichts zu tun, um Clare Kendry am Nachmittag zu sehen.
Und doch sah sie Clare.
Das Telefon. Stundenlang hatte es wie besessen geklingelt. Seit neun Uhr hatte sie das hartnäckige Schrillen gehört. Eine Zeitlang hatte sie entschlossen jedes Mal gesagt: »Bin nicht zu Hause, Liza, richte das aus.« Und jedes Mal kam das Hausmädchen mit der Auskunft zurück: »Dieselbe Dame, Ma’am; sie sagt, sie ruft wieder an.«
Aber mittags war Irene mit den Nerven am Ende, und da ihr das Gewissen schlug bei Lizas vorwurfsvollem Blick im schwarzen Gesicht, als sie Irene erneut verleugnen sollte, gab sie nach.
»Schon gut. Diesmal gehe ich dran, Liza.«
»Sie ist es wieder.«
»Hallo … Ja.«
»Hier Clare, ’Rene … Wo bist du nurgewesen? … Kannst du so gegen vier hier sein? … Was? … Aber ’Rene, du hast es versprochen! Bloß für ein Weilchen … Du kannst, wenn du nur willst … Ich bin maßlos enttäuscht. Ich hatte so sehr damit gerechnet, dich zu sehen … Bitte, sei lieb und komm. Nur für ein Minütchen. Du kannst das sicher einfädeln, wenn du es versuchst … Ich werde dich nicht bitten zu bleiben … Ja … Ich erwarte dich … Residenz Morgan … Klar! Mein Name ist Bellew, Mrs. John Bellew … Also, dann um vier … Ich freu mich so, dich zu sehen! … Auf Wiedersehen.«
»Verflucht!«
Irene knallte den Hörer auf und machte sich gleich Vorwürfe. Schon wieder hatte sie es getan. Hatte zugelassen, dass Clare Kendry sie zu etwas überredete, für das sie weder Zeit noch besondere Lust hatte. Was war an Clares Stimme so reizvoll, so ausgesprochen verführerisch?
Clare begrüßte sie in der Eingangshalle mit einem Kuss. »Wie schön von dir zu kommen, ’Rene. Aber du bist ja immer gut zu mir gewesen.« Und bei ihrem unwiderstehlichen Lächeln verflog etwas von Irenes Ärger. Sie freute sich sogar ein klein wenig, dass sie gekommen war.
Clare ging mit leichtem Schritt voran zu einem Zimmer, dessen Tür halb offen stand, und sagte: »Es gibt eine Überraschung. Eine richtige Party. Wirst sehen.«
Als Irene eintrat, fand sie sich in einem Wohnzimmer, groß und hoch, an dessen Fenstern ungewöhnliche blaue Drapierungen hingen, die geschickt die Aufmerksamkeit von den düsteren, schokoladenfarbenen Möbeln ablenkten. Und Clare trug ein dünnes, fließendes Kleid in derselben Blauschattierung, was perfekt zu ihr und dem ziemlich schwierigen Zimmer passte.
Einen Augenblick dachte Irene, das Zimmer sei leer, aber als sie den Kopf wandte, entdeckte sie, tief eingesunken in die Kissen eines großen Sofas, eine Frau, die so konzentriert zu ihr hochschaute, dass ihre Augenlider gespannt waren, als wären sie von der Anstrengung des nach oben gerichteten Blicks gelähmt. Zuerst hielt Irene sie für eine Fremde, aber im nächsten Moment sagte sie mit teilnahmsloser, fast scharfer Stimme: »Und wie geht es dir, Gertrude?«
Die Frau nickte und zwang sich zu einem Lächeln auf ihren vorgewölbten Lippen. »Mir geht’s gut. Und du bist genau dieselbe geblieben, Irene. Kein bisschen verändert.«
»Danke«, antwortete Irene und setzte sich hin. Sie dachte: ›Du meine Güte! Gleich zwei davon!‹
Denn auch Gertrude hatte einen Weißen geheiratet, obwohl man ehrlicherweise nicht sagen konnte, dass sie als Weiße ›durchging‹. I