1. KAPITEL
„Ich muss eine Schuld eintreiben, Ms. King!“
Violet King hielt den Telefonhörer etwas dichter an ihr Ohr und sah verwundert aus den Fenstern ihres rundum verglasten Büros. Von ihrem Schreibtisch aus hatte sie einen herrlichen Blick auf den Pazifik und hinter sich freie Sicht auf ihre Angestellten. In ihrer Geschäftsstelle gab es keine Trennwände. Sie fand es besser, wenn alle gemeinsam arbeiteten. Das war viel kreativer.
Ihre fortschrittliche Einstellung zum Geschäft – und zu Make-up und Mode – hatte sie zu einer der jüngsten Selfmade-Milliardärinnen der Welt gemacht.
Obwohl das vielleicht ein bisschen übertrieben war, wenn man bedachte, dass ihr Vater Robert King ihr die erste Finanzspritze gegeben hatte, damit sie ihr Unternehmen gründen konnte. Aber jeder Jungunternehmer arbeitete wohl mit Investoren. Dass ihrer mit ihr verwandt war, war weder beispiellos, noch schloss es sie von einem Selfmade-Titel aus. Außerdem hatte Violet ihrem Vater seine Investition längst mit Zinsen zurückgezahlt.
Und sie hatte definitiv keine Schulden.
Was bedeutete, dass der Mann, den sie gerade in der Leitung hatte, Blödsinn redete.
„Sie müssen sich verwählt haben“, sagte sie.
„Nein. Habe ich nicht.“
Er hatte eine tiefe, sonore Stimme und sprach mit einem leichten Akzent. Violet konnte nicht ausmachen, was für ein Akzent es war. Spanisch, vielleicht, und mit einer Spur von britischem Englisch.
„Ich habe bei niemandem Schulden.“
„Oh, vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt. Sie haben keine Schulden. Sie sind die Zahlung.“
Ihr wurde kalt. „Woher haben Sie diese Nummer?“
In diesem Social-Media-Zeitalter, in dem man als Unternehmerin zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar war, schützte Violet erbittert ihren Privatanschluss. Mit Hilfe ihrer Assistenten war Violet zwar vierundzwanzig Stunden am Tag im Internet verfügbar, aber unter dieser Nummer erreichten sie nur die engsten Geschäftspartner, Familienmitglieder und Freunde. Dieser Mann war keiner von ihnen, und trotzdem rief er sie an. Und sagte höchst seltsame Dinge.
„Woher ich die Nummer habe, ist für das Gespräch nicht wichtig.“
„Im Gegenteil, es ist sehr wichtig.“
Ihr sträubten sich plötzlich die Nackenhaare. Violet drehte sich um und blickte hinter sich. Das Bürogebäude war leer. Es war schon sehr spät, und alle waren gegangen. Ihre Angestellten arbeiteten oft von zu Hause aus oder am Strand oder wo auch immer sie kreativ waren.
Okay, sie war ganz allein im Büro. Doch niemand konnte einfach das Gebäude betreten. Der Sicherheitsdienst war streng, und wer hereinwollte, musste diverse Codes kennen oder von innen über den Summer eingelassen werden.
Aber plötzlich sah sie durch die äußerste Glaswand eine Bewegung. Eine Tür ging auf und eine dunkle Silhouette bewegte sich durch die gläsernen Türen von Raum zu Raum.
„Sind Sie etwa hier?“, flüsterte sie.
Aber die Leitung war plötzlich tot, und Violet stand wie erstarrt in ihrem Büro, die Augen auf den Mann geheftet, der unaufhaltsam weiter zu ihrem Büro vordrang. Das Glas war kugelsicher, immerhin.
Es gab so viele Verrückte auf der Welt, dass große Vorsicht nie verkehrt war. Das hatte Violet schon früh gelernt. Ihr Vater, der einer der reichsten Geschäftsleute in Kalifornien war, hatte sie ins Licht de