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ICH DARF NICHT UNZUFRIEDEN SEIN.
ODER DOCH?
Es gibt Dienstage, da passiert gar nichts. Und dann sind da diese Dienstage, an denen dir klar wird: »Ich kann mich nicht länger selbst bescheißen.«
Mein Dienstag ist im November. Ein nebelgrauer Tag, der nach Desinfektionsmitteln und Heizungsluft riecht.
»Ihre Haut hat begonnen, sich an gewissen Stellen selbst zu zerstören«, eröffnet mir die Ärztin, während ich hinter einem Vorhang wieder in meine Kleidung schlüpfe.
»Ah ja?«, sage ich und fiddle mit den Schnürsenkeln meiner Sneakers herum. Das ist sicherlich nicht der gehaltvollste Kommentar, aber ich habe keine Ahnung, wie ich sonst reagieren soll. Ich dachte, ich wäre für einen Routinecheck in die Praxis gekommen und vielleicht für eines dieser Karamellbonbons, die am Empfang in einer Glasschüssel rumliegen –, aber nicht für die Diagnose »Autoimmunerkrankung im Frühstadium« und für eine Verschreibung von Kortison.
Bevor sich jetzt allgemeine Betroffenheit einstellt – die Sache ist nicht weiter schlimm. Also nichts, was mich groß einschränken oder gar umbringen würde. Der Schutzmantel meines Körpers mag zwar irreparable Risse aufweisen. »Aber das kriegen wir fürs Erste mit einer Salbe hin«, sagt die Ärztin. Und: »Viele dieser Schübe werden durch Stress ausgelöst.« Sie versucht, das Ganze als Feststellung zu formulieren, ich sehe trotzdem eine Frage darin und fühle mich ertappt. Denn man muss kein Psychosomatik-Diplom an der Wand hängen haben, um zu wissen: Autoimmun bedeutet oft auch autoaggressiv. Keine Hautzelle der Welt begeht ohne Grund Selbstmord. Und man entwickelt auch nicht einfach so alle paar Wochen Herpes. Das Ganze verdeutlicht lediglich: Nicht nur mein Immunsystem verlangt nach ein bisschen mehr Aufmerksamkeit, sondern ebenso mein Seelenleben.
* * *
»Was muss ich ändern, damit ich von meinem Leben keinen Urlaub mehr brauche?« Das ist die Frage, die seit Monaten an mir nagt. Und in den dreizehn suchenden Worten steckt so viel Sehnsucht, dass es mir mitunter eng im Hals und im Brustkorb wird. Die Problemstellung ist zugegebenermaßen nicht ganz neu. An dem Punkt »Soll das bereits alles gewesen sein?« war ich bereits mehrmals in meinem Leben. Ich habe mir deswegen sogar eine Auszeit gegönnt und meine Ersparnisse auf einer Solo-Weltreise verprasst, in der Hoffnung, mein Fernweh und meinen Hunger nach Neuem damit stillen zu können. Doch die Zufriedenheit, die mein Big Trip brachte – ich kam mit tausend Sonnenflecken, einem vollen Herzen und der Gewissheit, dass Solo-Reisen das Beste für die Entdeckung des inneren Rhythmus ist, heim –, hielt nicht sonderlich lange an. Nach einem Jahr scharrte ich bereits wieder wie ein eingesperrtes Wildpferd mit den Hufen, wissend, dass da draußen mehr auf mich wartet als die Hausdächer, auf die ich von meinem Bürofenster aus schaute.
Experten würden sagen: Bore-out statt Burn-out. Ich sage: Wenn man nicht happy ist, sind einem solche Definitionen herzlich egal. Interessanter ist, was man gegen die dunklen Wolken am Geisteshimmel unternimmt. Wird man aktiv? Oder übt man sich in Vogel-Strauß-Taktik? Ausprobiert habe ich beide Strategien. Zuerst meinte ich, ich bräuchte einfach nur neue Hobbys. Ein befreundeter Personaltrainer bot mir gratis CrossFit-Stunden an. Dabei ließ er mich so leiden, als hätte ich seiner Seele in einem früheren Leben etwas Schlimmes angetan. Aber die gewünschte Zerstreuung brachte es genauso wenig wie die YouTube-Tutorials, mit denen ich mir selbst beibrachte, herrlich zitronige Körperbutter anzurühren. Also … gegenpoliger Versuch, Kopf in den Sand. Vielleicht musste ich mich einfach damit abfinden, dass das Leben ein unvermeidbarer Alltagstrott war – und wo ich schon mal im Desillusionierungsprozess war, redete ich mir auch gleich die Möglichkeit auf grundlegende Veränderung aus: »Was soll ich denn machen? Ich kann ja nichts außer Schreiben. Hätte ich mal besser was Vernünftiges gelernt.« Obendrein lähmte mich ein schlechtes Gewissen: »Du hast null Grund, unzufrieden zu sein«, schimpfte es mit mir. »Du bist ein verdammtes Glückskind.« Was prinzipiell stimmte. Mein Hintern klebte von Mon