1. KAPITEL
„Nach London? Oh Cory, bitte tu das nicht! Ich bin sicher, dass du auch hier Karriere machen kannst.“
Cory Masters blickte ihren guten Freund Leslie Batley-Thomas an, den sie schon ihr ganzes Leben kannte – und ebenso lange liebte. Sie konnte ihm unmöglich sagen, dass sie das verschlafene kleine Städtchen im grünen Norden Yorkshiresseinetwegen verlassen und gegen die Anonymität der Großstadt eintauschen wollte.
Obwohl ihr nach Weinen zumute war, lächelte Cory strahlend. Ihre smaragdgrünen Augen mit den violetten Sprenkeln verrieten nichts von ihrem Schmerz. „Ich kann es nicht mehr rückgängig machen, Leslie.“ Sie strich sich eine Strähne des seidigen dunkelbraunen Haars aus dem Gesicht. „Vor einer Woche fand das Bewerbungsgespräch statt, und ich hätte nie gedacht, dass ich mich gegen die anderen Bewerberinnen durchsetzen würde. Aber heute Morgen habe ich von Mr. Hunters Sekretärin die Zusage bekommen, und in vier Wochen fange ich an. Sie wird mich einarbeiten und mir alles zeigen, bevor sie Ende Mai mit ihrem Mann in die USA geht.“
„Aber warum hast du mir nie gesagt, dass du dir eine neue Herausforderung wünschst?“, fragte Leslie. Sein jungenhaftes Gesicht sah verletzt aus, und er runzelte die Stirn. „Außerdem verlässt Carole sich fest darauf, dass du ihr bei den Hochzeitsvorbereitungen hilfst – sie ist eben nicht besonders praktisch veranlagt“, fügte er nachsichtig hinzu. „Immerhin bist du ihre Brautjungfer!“
„Ich weiß.“ Wieder rang sie sich ein Lächeln ab. Sie würde die Brautjungfer der wunderschönen jungen Frau sein, die vor Kurzem in Corys kleinen Heimatort gezogen war und in die Leslie sich auf den ersten Blick verliebt hatte. Carole James hatte blonde Locken, tiefblaue Augen und eine perfekte Figur mit endlos langen Beinen. Und sie ist nicht nur bildhübsch, sondern auch nett, dachte Cory wehmütig. Ein wenig unbeholfen vielleicht und sicher keine Intelligenzbestie, aber sehr sympathisch.
„Ich werde wie versprochen Caroles Brautjungfer sein“, versuchte sie Leslie zu beschwichtigen. „Die meisten Vorbereitungen können schon erledigt werden, bevor ich nach London gehe, und der Termin für die Trauung steht auch bereits fest. Du hast doch alles mit deinem Onkel besprochen, nicht wahr?“ Leslies Onkel war der Vikar des kleinen Städtchens. „Außerdem kann ich im September noch einmal vor der Trauung nach Hause kommen, falls Carole bei den letzten Vorbereitungen noch meine Hilfe benötigt“, sagte sie abschließend.
„Natürlich tut sie das“, erwiderte Leslie vorwurfsvoll.
Vor Ärger vergaß Cory einen Moment lang ihren Schmerz. Wie konnte er nur so unsensibel sein? Seit ihrer Kindergartenzeit hatten sie und Leslie praktisch Tür an Tür gewohnt und waren immer unzertrennlich gewesen. Sie gehörte fast mit zu seiner Familie und er zu ihrer. Und sogar als sie nach der Schule an unterschiedlichen Universitäten studiert und andere Leute kennengelernt hatten, war niemand ihnen je so nah und vertraut gewesen, wie sie es einander waren.
Nicht dass sie jemals ausdrücklich über ihre Beziehung gesprochen hatten, aber das war auch nicht nötig gewesen. Cory hatte gewusst, was sie einander bedeuteten. Oder zumindest habe ich immer geglaubt, es zu wissen, dachte sie bitter.
„Leslie, ich weiß, dass Carole keine Familie hat, aber deine Eltern werden ihr sicher mit Rat und Tat zur Seite stehen.“ Sie bemühte sich, ruhig und gelassen zu klingen. „Die Festhalle ist bereits reserviert, und deine Mutter hat auch schon einen Catering-Service beauftragt. Du brauchst dir also wirklich keine Gedanken zu machen.“
„Aber Carole braucht doch deine moralische Unterstützung …“
„Dafür hat sie ja immerhin auch noch dich“, unterbrach Cory ihn. Langsam war sie mit ihrer Geduld am Ende. Corys Mutter hatte leuchtend rotes Haar, und außer dem rötlichen Schimmer im dunkelbraunen Haar hatte sie ihrer Tochter auch das aufbrausende Temperament vererbt.
„Du bist also fest entschlossen, nach London zu gehen?“, fragte Leslie nach einer bedeutungsschweren Pause und presste die Lippen zusammen.
„Ja“, erwiderte sie fest. Am liebsten wäre sie sofort abgereist. Während der letzten Monate hatte sie mit ansehen müssen, wie Leslie die blonde Schönheit angebetet und sich ihr praktisch zu Füßen geworfen hatte. Und die Verlobungsfeier, die in der letzten Woche stattgefunden hatte, war die reinste Tortur für Cory gewesen. Bis zum Hochzeitstermin Mitte September waren es noch mehr als sec