: Lawrence Durrell
: Das Alexandria-Quartett Justine. Balthazar. Mountolive. Clea
: Kampa Verlag
: 9783311702580
: Gatsby
: 1
: CHF 40.50
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 1288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nachts, wenn der Wind um die abgelegene griechische Insel tost, tastet sich der Schriftsteller Darley Glied um Glied an der Kette der Erinnerung zurück nach Alexandria. Erst jetzt, Jahre nach den Ereignissen, meint er alles zu verstehen, die schicksalhaften Begegnungen in der schillernden ägyptischen Hafenstadt, mit der Tänzerin Melissa, dem britischen Diplomaten Mountolive, der Malerin Clea, dem jüdischen Arzt Balthazar, der seine Homosexualität hemmungslos auslebt und vielen anderen, besonders aber seine tragische Affäre mit der rätselhaften, wunderschönen Jüdin Justine, der notorisch untreuen Ehefrau des wohlhabenden koptischen Bankiers Nessim. Doch was geschah wirklich, damals in den 1930er Jahrenin Alexandria, diesem Schmelztiegel der Religionen, Sprachen und Kulturen, der »großen Kelter der Liebe«? Drei weitere Figuren werden von ihren Verstrickungen in diese Geschichte erzählen, für jede von ihnen bedeutet sie etwas anderes. Gemeinsam bilden diese vier Romane einen einzigartigen Liebesreigen, ein Geflecht aus Kriminal- und Spionagegeschichten, das Porträt einer Stadt - eine so kunstvolle wie spannende Tetralogie um Täuschungen und Leidenschaften, die Literaturgeschichte geschrieben hat, in einer Prosa, deren Sog man sich nicht entziehen kann. Eine schriftstellerische Meisterleistung, sinnlich, üppig, einzigartig.

Lawrence Durrell, 1912 als Sohn eines britischen Kolonialbeamten im indischen Jalandhar geboren, lebte an so vielen verschiedenen Orten, wie er Talente besaß. Mit elf Jahren wurde er zum Schulbesuch nach Canterbury geschickt, fühlte sich aber in England, das er als prüde und engstirnig empfand, nie wohl. Zeit seines Lebens betrachtete er sich nicht als Brite, sondern als Kosmopolit. In London jobbte er kurz als Barpianist und fing an, Gedichte zu schreiben. 1935 heiratete er zum ersten Mal (drei weitere Ehen sollten folgen) und zog mit Mutter, Frau und Geschwistern auf die griechische Insel Korfu. Nach England sollte er nie mehr zurückkehren. Den Zweiten Weltkrieg verbrachte Durrell im ägyptischen Alexandria, wo er für die britische Botschaft tätig war; auch nach dem Krieg arbeitete er als Diplomat, unter anderem in Argentinien, Jugoslawien und auf Zypern, das er 1956 im Zuge der Unabhängigkeitsbestrebungen der Zyperngriechen verlassen musste. Seine letzten Lebensjahrzehnte verbrachte Lawrence Durrell im südfranzösischen Sommières, wo er 1990 starb.

Vorwort


von André Aciman

»Nur die Stadt ist wirklich.« So lautet der letzte Satz der Bemerkung, die Lawrence DurrellJustine voranstellt. »Die Gestalten dieses Romans«, schreibt er, »sind ebenso wie die des Erzählers erfunden und haben keine Ähnlichkeit mit lebenden Personen.« Und dann folgen die fünf umwerfenden Wörter: »Nur die Stadt ist wirklich.«

Für jemanden wie mich, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Alexandria geboren wurde und aufwuchs, ist es schwer zu glauben, dass Durrells Stadt je existiert haben könnte. Vielleicht hat sich die Stadt in den Jahren zwischen seiner Zeit dort und meiner komplett verändert. Die Spuren des Alexandria, das er während der frühen vierziger Jahre gekannt hatte, als Britisches und Europäisches alles durchdrungen hatte, waren fast vollkommen verschwunden aus dem Alexandria, das ich in den fünfziger und sechziger Jahren kennenlernte, als der ägyptische Nationalismus alle abendländischen Überreste so rasch wie möglich beseitigte. Viele der Häuser, Theater, Cafés, Hotels, Parks und Restaurants, die Durrell gekannt und imAlexandria-Quartett erwähnt hatte, waren zwar noch da, aber sogar für den frühen Teenager, der ich damals war, war es offensichtlich, dass sie den welken Zauber einer vergangenen Welt angenommen hatten, der rasch dahinschwand, je mehr Europäer Ägypten verließen oder tatsächlich vertrieben wurden. Die multinationale, multiethnische, multi-alles Stadt, die laut Durrell »fünf Rassen, fünf Sprachen, ein Dutzend Glaubensbekenntnisse, fünf Verbindungskanäle … und mehr als fünf Geschlechter« beherbergt hatte, war bereits verschwunden. Heute steht an ihrer Stelle eine andere Stadt. Gibt man einem jungen ägyptischen Taxifahrer eine alte Adresse, wird er sich mit großer Wahrscheinlichkeit verfahren. Überall sind neue Viertel entstanden, alte Häuser und Villen wurden – mit oder ohne offizielle Genehmigung – abgebrochen, und die Schilder mit den alten Straßennamen wurden alle abmontiert und durch Schilder mit neuen Namen ersetzt. Taucht der einst europäische Name eines Viertels noch auf einem für Touristen bestimmten Stadtplan auf, ist er in der Regel dermaßen schlecht aus dem Arabischen transliteriert, dass man beim besten Willen nicht mehr erkennen kann, was einmal eine ganz gewöhnliche englische, französische oder deutsche Bezeichnung war. Lawrence Durrell würde sich in der heutigen Stadt nicht verirren, denn das Grundraster ist im Wesentlichen erhalten. Doch er würde sie nicht als das Alexandria wiedererkennen, das er gekannt hat.

Von der Existenz desAlexandria-Quartetts erfuhr ich erstmals1964, als ich mitbekam, wie eine meiner amerikanischen Lehrerinnen in Alexandria in der Schulbibliothek mit einer anderen Lehrerin sprach. Sie hielt dabei ein Buch in der Hand, auf dessen Umschlag eine Palme vor einem dunkelroten Hintergrund zu sehen war, und empfahl ihrer Kollegin, es zu lesen, da sie schließlich beide in Alexandria lebten und unterrichteten. Auf der Stelle, und vielleicht weil ich diese Lehrerin nicht mochte, kam ich zum Schluss, dass sie von Literatur keine Ahnung habe, weshalb ich auch ihre Empfehlung in den Wind schlug. Drei Jahre später und ein Jahr nach der Vertreibung meiner Familie aus Alexandria beschloss ich eines schönen Frühlingstags in Rom,Justine zu kaufen, auf Empfehlung einer anderen Lehrerin, die gehört hatte, dass ich in Alexandria geboren sei. Sowie ich am späteren Nachmittag die ersten Abschnitte gelesen hatte, wurde ich in eine Stadt zurückgeworfen, die ich zu kennen geglaubt hatte, doch nun unvermittelt wieder besuchen wollte, und wäre es nur, um Gegenden zu erkunden, die ich vor meinem Abschied vernachlässigt hatte. Ich saß auf einer der Stufen der Spanischen Treppe, wo ich gern frisch gekaufte Bücher zu lesen begann, bevor ich zum Abendessen nach Hause ging. Das Buch zog mich vollkommen in den Bann, wobei ich nicht weiß, ob es an Durrells Stil oder dem hemmungslosen Liebesleben seiner Figuren lag, dass ich in eine Stadt zurückbefördert wurde, die ich nie wirklich gekannt und von der ich geglaubt hatte, sie sei dies auch nicht wert; nun aber entdeckte ich sie, wenn auch mit Verspätung, neu – durch die Augen eines anderen. Ich war zu jung gewesen, um all die verschlungenen Gassen und exotischen Winkel Alexandrias zu erkunden, und konnte mir auch nicht vorstellen, dass sich entlang all der Straßen, durch die ich seit meiner Kindheit gegangen war, Möglichkeiten erotischer Lustbarkeiten auftaten, die übersehen zu haben ich nun bedauerte. Jemand hatte mir schließlich gesagt, Durrells Alexandria habe es nie gegeben und hä