: Fatma Akay-Türker
: Nur vor Allah werfe ich mich nieder Eine Muslimin kämpft gegen das Patriarchat
: Edition A
: 9783990015278
: 1
: CHF 14.40
:
: Gesellschaft
: German
: 224
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die kämpferische Koran-Expertin Fatma Akay-Tu?rker legte ihre Funktion als einzige Frau im Vorstand der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich zuru?ck, weil sie deren konservatives Frauenbild ablehnte. In diesem Buch rechnet die prominente Muslimin mit den verstaubten patriarchalischen Strukturen im Islam ab und zeigt, was wirklich u?ber Frauen im Koran steht und warum gerade das ein modernes emanzipiertes Frauenbild rechtfertigt.

Mag. Dr. Fatma Akay-Tu?rker, geboren 1975 in der Tu?rkei, ist Magistra der Philosophie, promovierte Historikerin und Islamische Religionslehrerin. Von Dezember 2018 bis Juni 2020 war sie als Frauensprecherin das einzige weibliche Mitglied des Obersten Rates der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), ehe sie die Organisation aus Protest u?ber das dort vorherrschende Frauenbild verließ. Zugleich legte sie ihren Beruf als Islamlehrerin nieder. Sie beschäftigt sich eingehend und auch privat mit dem Koran und seinen Lehren.

DAS SPRACHLOSE MÄDCHEN


Als ich 13 Jahre alt war, lebte ich noch in einem beschaulichen Dorf in Anatolien. Es sind schöne Erinnerungen, die mich mit dieser Zeit verbinden.

Mein alter Onkel Mehmet saß mit anderen zusammen in der Herrenrunde vor dem Geschäft des Schuhmachers. »Avukat Fatma, bist du schon bereit für morgen?«, rief er zu mir herüber. Avukat bedeutet Advokat, Rechtsanwalt. Diese Bezeichnung hatten sie mir gegeben, weil ich angesichts von Ungerechtigkeiten nie schwieg.

»Ja, Onkel«, antwortete ich, »ich bin bereit für morgen.« Ich war auf dem Weg zur Schule. Am nächsten Tag war der 23. April, der Tag, an dem im Jahre 1920 erstmals der türkische Nationalrat zusammentrat. Kemal Atatürk, der Gründer der Türkischen Republik, widmete diesen Tag der nationalen Souveränität den Kindern. Daher gab es jedes Jahr an diesem Tag ein großes Kinderfest in den Volksschulen.

Die Männer, die da in der Runde beisammensaßen, wussten alle, dass ich an solchen Feiertagen meist im Zentrum der Aktivitäten stand. Ich sagte vor vielen hundert Menschen Gedichte auf, leitete den Chor, die Volkstanzgruppe und die Parade mit der Trommel.

In der Schule war ich die beste Schülerin und schon ab der ersten Klasse Volksschule die Klassensprecherin. Unser Dorf hatte damals dreitausend Einwohner. Da kannte jeder jeden. Die Dorfbewohner versammelten sich Tag für Tag und erledigten gemeinsam nach der Reihe die anstehenden Arbeiten. Das ging von Frühling bis Herbst so. Im Winter waren alle zu Hause. Da empfingen wir entweder Besuch oder wir waren auf Besuch. Jede Familie war jederzeit bereit, Besuch zu empfangen. Für die Gäste hoben alle die besten Vorräte auf. Es war jedes Jahr im Herbst vor allem für uns Kinder ein Fest, wenn Weintrauben, Sirup, Marmelade und Tomatenmark im Garten in den ganz großen Kesseln auf der Feuergrube kochten.

Es gab nie eine strenge Trennung zwischen den Geschlechtern. Die Männer trugen durchwegs dunkle Hosen und Hemden. Die Frauen bevorzugten traditionell gemusterte, farbenfrohe Stoffe. Dazu trugen sie ein locker gebundenes, leicht durchsichtiges Kopftuch. Der Haaransatz war zu sehen. Bei den meisten erwachsenen Frauen hingen hinten lange geflochtene Zöpfe herunter. Die Mädchen, die in die Schule gingen oder studierten, trugen kein Kopftuch. Polygamie gab es nicht.

Meine jüngere Schwester und ich waren in der Obhut unserer Großeltern. Mein Vater lebte schon seit 1979 in Deutschland und seit 1982 in Wien, um Geld zu verdienen. Zu Hause hatte er auf den Obst- und Gemüsefeldern meines Großvaters gearbeitet. Er machte sich auf nach Europa, um sein eigenes Geld zu verdienen. Vor einem Jahr hatte er meine Mutter nachgeholt. Zu mir sagte er damals, ich solle in der Türkei bleiben und studieren. »Du bist hier so erfolgreich, meine Tochter. Wenn ich dich nach Österreich mitnehme, ohne Deutschkenntnisse, hast du weder eine Chance, noch eine Zukunft. Bleib hier und mach weiter bis zu deinem Traumjob als Rechtsanwältin.«

Am 1. September 1989 veränderte sich mein Leben. Ich war gerade draußen beim Spielen auf der Straße, als unsere Nachbarn mich zu sich hineinriefen. Ein Anruf für mich. Wir hatten kein Telefon und mussten immer über deren Telefon sprechen. Der Anruf kam von meinem Vater. Er sagte: »Fatma, ich habe eure Tickets gekauft und mit meinem Onkel gesprochen. Er wird mit euch alle bürokratischen Dinge erledigen und