Gelegenheiten zur Hemmungslosigkeit sind selten, da können Moralisten sagen, was sie wollen; und wenn die Verfasserin ihre eigenen Erinnerungen an Spanien als eine solche ausgeben will, muss sie wohl riskieren, von anderen als eine Art Nero betrachtet zu werden.
Ich schreibe wirklich ungeniert als Eskapistin von dem, was vergeht und noch halbwegs in Erinnerung ist. Für Voraussagen bringe ich kein Talent und wenig Neugier auf. Aber Tod und Abschied fesseln mich, wie es die hellsten Hoffnungen der Menschheit nie vermocht haben. Während also das europäische Chiaroscuro, in dem wir alle aufgewachsen sind, zum Blackout wird und seinen in die Länge gezogenen Selbstmord hinnimmt, während das Schicksal den Leichtsinn zum Schweigen bringt und die Beherzten sich ins Zeug legen, um zu sehen, was der morgige Tag an Zerreißproben bringt, schaue ich also noch immer zurück, ganz hemmungslos. Das Morgenlicht, selbst wenn einige von uns es erleben sollten, selbst wenn es strahlt, es wird ernüchternd sein; wenn überhaupt etwas dran ist an menschlicher Verheißung, an politischem Kampf, wird es gleichförmig sein und abwechslungslos. Was die verrückt gewordene Welt jetzt suchen muss, ist die Gerechtigkeit einer vernünftigen Einheitlichkeit. Wie unerreichbar das scheint, wenn man es hinschreibt, und wie elementar notwendig! Dass es nach unserer Sintflut so kommen möge, muss unsere zentrale Hoffnung für die Nachwelt sein, wie ungewiss, wie fraglich auch immer. Wenn einige von uns einstweilen nicht den persönlichen Wunsch aufbringen, es so zu sehen, sollte ihnen diese Schwäche verziehen werden.
Lasst uns, die wir nichts anderes können, die Zeit vertun. Und da das individuelle Leben weitergeht, da Gesichter und Erinnerungen nach wie vor wichtig sind, wie sehr auch die Dunkelheit zunimmt, da es noch Wein zu trinken gibt und die nächste Zigarette ein zwingendes Vergnügen bleibt, werden wir, wenn wir gescheit sind, unseren immer gleichen kleinen Marotten nachgehen, werden essen und trinken (wenn wir die Mittel dazu haben), werden stricken, Schreibmaschine schreiben, Bilder machen und Geld und Liebe. Denn was haben wir davon, diese schreckliche Gegenwart, die uns bestimmt ist, zu durchleben, wenn wir unseren egoistischen Mut verlieren, weiter wir selber zu bleiben. Indem ich also den meinen beschwöre, schreibe ich zu meinem eigenen Trost, in einem Stil, der während der letzten zweihundert Jahre überstrapaziert wurde – aber womöglich als eine der letzten, die ihn pflegt, und vielleicht resultiert aus dieser Vermutung eine besondere Befriedigung. Ich schreibe als sentimentale Reisende über ein Land, das lange schon unter derartigen Reisenden leidet. Aber Spanien muss den letzten Nachzüglern unter seinen fremden Liebhabern verzeihen, wie es den ersten verziehen und sich zu ihnen herabgelassen hat. Es wird keine sentimentalen Reisenden mehr geben – nirgends. Ihre Entschuldigung und ihr Spielraum werden an jenem Tag der Einheitlichkeit, den wir übereinstimmend als einzige Hoffnung für die verstörte Welt betrachten, dahin sein. Tourist ist schon ein veraltetes Wort für die Vernünftigen, die, wenn sie noch nach Russland fahren, es nur tun, um herauszufinden, wie die zweite Hälfte des Jahrhunderts aussehen wird, nicht nur in Moskau, sondern überhaupt.