Hans Kelsen gehört zu den wenigen Weimarer Staatsrechtslehrern, die als aufrechte und überzeugte Demokraten gelten können.1 Abgesehen vielleicht von Richard Thoma2 war er unter diesen der einzige, der sich wissenschaftlich ausführlicher mit dem politischen und verfassungsrechtlichen Prinzip der Demokratie, seinen Voraussetzungen und Konsequenzen, auseinandergesetzt hat. Das Ergebnis hat man als „eine der großen Demokratiebegründungsschriften überhaupt“3 bezeichnet. Die Rede ist von Kelsens Studie über „Wesen und Wert der Demokratie“, die zuerst im Jahre 19204 und dann 1929 in zweiter, erweiterter Auflage erschienen ist.5 Ihren mittlerweile erreichten Klassikerstatus6 verdankt die Arbeit neben der Prominenz ihres Autors und den dramatischen Zeitumständen vermutlich in erster Linie ihrer Klarheit und Prägnanz, insbesondere der deduktiven Strenge und souveränen Eleganz bei der Problementfaltung. Wenn sie im folgenden den zentralen Bezugstext darstellt, so darf darüber nicht vergessen werden, daß Kelsen – von weiteren kleineren Schriften abgesehen7 – im Jahre 1955 nochmals eine im Umfang erheblich vermehrte und dazu in manchen Punkten modifizierte Version seiner Demokratietheorie vorgelegt hat, die allerdings an eher abgelegener Stelle und zudem in englischer Sprache erschienen ist.8 Darauf wird zurückzukommen sein.