|5|
Vorwort
Die Kirche steht auch in der Schweiz in den wenigsten Fällen noch im Dorf. Und dies im übertragenen wie im wörtlichen Sinne: Sie hat ihre Stellung nicht mehr selbstverständlich und unangefochten inne, selbstbewusste und religiös mündige Menschen entscheiden autonom über ihre Mitgliedschaft und ihre Nähe und Distanz zur Institution Kirche. Und Kirche findet auch nicht mehr hauptsächlich im Kirchengebäude statt, sondern entsteht immer häufiger auch an den Rändern, an den Hecken und Zäunen, auf öffentlichen Plätzen, in Bahnhöfen und Flughäfen. Kircheist nicht mehr einfach, aber siewird, nämlich dort, wo Menschen wohnen und leben, und dies nicht nur in Dörfern, sondern in Städten und Agglomerationen. Und weil Menschen nicht mehr einfach in die Kirchekommen, ist Kirche neu herausgefordert, zu den Menschen zugehen.
Urbanität und Öffentlichkeit sind Schlüsselbegriffe in der Diskussion um Kirchenentwicklung. Urbanisierung, so definieren es Dave Frenchak und Carol McGibbon aus Chicago im vorliegenden Band, ist mehr als Bevölkerungsverdichtung. Sie hat zu tun mit spezifischen Formen von menschlichen Beziehungen, mit Kommunikation, wechselseitigen Bezügen und komplexen Mustern des kulturellen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Lebens, die über die eng verbundenen Lebensformen kleiner Gemeinschaften hinausgehen. Und die für die Kirche relevante Öffentlichkeit besteht nicht nur aus den Sphären, die David Tracy identifiziert hat, nämlich Universität, Kirche und Gesellschaft im Ganzen,1 sondern Letztere kann mit Nico Koopman noch weiter ausdifferenziert werden in die politische und die ökonomische Sphäre, die Zivilgesellschaft und die öffentliche Meinung.2 Dann besteht die Herausforderung an die Kirche «nicht nur darin, sich flexibel auf eine bestimmte kommunikative Situation einzustellen, sondern mit präziser Sachkenntnis und fachlicher Kompetenz in den Dialog über Gegenwartsfragen einzutreten».3
Die Vertreter v. a. der Praktischen Theologie der Universität Zürich haben diese Herausforderung aufgenommen und an verschiedenen Tagungen mit nationalen und internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmern Kirche im Spannungsfeld|6| von Urbanität und Öffentlichkeit diskutiert. So traf sich das Praktisch-Theologische Forschungskolloquium der Universitäten Zürich und Rostock im Frühjahr 2010 zur Tagung «Kybernetik?! Aktuelle Forschungsperspektiven zur Kirchen- und Gemeindeentwicklung» auf dem Monte Verità. Im Sommer 2010 fand zu Ehren von Hans Strub, dem langjährigen Leiter der Aus- und Weiterbildung von Pfarrpersonen in den Schweizerischen Landeskirchen in Zürich ein internationaler Workshop zu «Urbanität und Religiosität» statt. Schliesslich lud das neu gegründete Zentrum für Kirchenentwicklung am 22./23. Juni 2012 zur öffentlichen Tagung über «Öffentliche Kirche – Kirche im öffentlichen Raum» ein, an der Theologinnen und Theologen, Kirchenvertreterinnen und Politiker über die öffentlichen Erwartungen an die Landeskirchen diskutierten.
Aus diesen drei Tagungen sind Gedankenanstösse, Positionen und Gegenpositionen von Referentinnen und Referenten aus Frankreich, den