1Die Qualität einer Stadt und also die der Aufzeichnungen über sie mißt sich an der Beschaffenheit ihrer Gehsteige, Fahrbahnen, an Unebenheiten, hohem und niederem Trottoir. Ist dieses, wie im Westen, uniform aufs Marktniveau gebracht, so ist die Stadt selbst nur Äquivalenz und sind es ihre Bewohner. Damit alle Fantasie perdu.
Ich aber will, daß Raum fürs Ungeheure bleibe.
Der ist auch im Kopf zu schaffen. Nur zu beobachten reicht nicht.
Ich will Dich Buenos Aires nennen. Ich nenn Dich nicht Paris, nenn Dich nicht Rom, schon gar nicht Prag, und auch Belgrad nicht und nicht London, geschweige so, wie Du heißt. Schon werdet Ihr alle mir eine. Und wo etwas fehlt, denk ich’s aus den Geschwistern hinzu.
Denn es fehlt vieles.
Die Stadt hat Lehm an den Füßen. Die Menschen wühlen, als würfen sie sich noch hellichten Tages unter stickigem Bettzeug auf einer mit Unlust gestopften Matratze herum. Spreche ich auf der Straße jemanden an, kann es gut sein, daß er meint, zurückschlagen zu müssen. Immer stehen vor verschmutzten Fassaden auch verschmutzte Leute herum. Nirgendwo sonst sieht man mehr zerstochene gepeinigte Lippen Nasen Ohren. Die Narben der Häuser wiederholen sich in ihren Bewohnern. Seelen sind es wie Bombentrichter.
Das reizt mich auf, Dich umzuerfinden.
Ich trete ins Treppenhaus, sperre die Tür hinter mir ab, meine Wohnhöhle schließt sich, wie Borkenbrods sich verschloß. Ich sollte den unterm Straßenpflaster wohnen lassen, denn seine Mutter ist Thetis, seine Seele muß im Grundwasser stecken.
Aber sie steckt imBoudoir.
Die dumpfe Wärme im Hausflur.
Ich zähle die Stufen, schließe die Augen, sechs mal zwei halbe Etagen. Jedes Geräusch ins Hallen verfremdet, die Schritte knallend. Werden heller auf dem muffigen Hinterhof, Gerüche, wart mal, Gras und Stein, dampfend vom Regenguß nach der Hitze. Hausmüll. Die Augen auf, blinzeln: Ein Bäumchen zwischen Tonnen und Fahrrädern, krumm, noch stehen Lachen auf der unebnen Pflasterung, versickern seitlich im Sandmatsch. Die Toreinfahrt durchs Vorderhaus, eine Art Tunnel, es riecht nach vergorener Gerste und der Pisse der Nacht. Das Portal rostigsteif in den Angeln, die Klinke fassen, ziehen, es knarzt. Hinaus auf die Straße, und sofort umschlägt mich ein Lärm, als würd ich in dichtere, in eine wollene Luft getaucht. Gleich rechts glänzen nasse Stühle vor der irischen Kneipe. Und das Kopfsteinpflaster dampft. Stimmen junger Leute. Diese eigenartige, mir so fremde Lust an der Farblosigkeit.
Mein flinker Blick, der flirten will. Niemand ist bereit zu spielen.
Proletarismus, mag sein, doch ohne Proletarier.
Ich gieße einen Liter Neapel hinein.
Welch seltsamer Graffito!
Wer formt die Waffen von Berg zu Berg, von Welle zu Welle?
Hier war doch gestern abend noch ein Second-hand-Laden … Wo ist der denn hingekommen? – Städte sind Vorstellungen. Wie siewirklichundwiewirklich sie sind, erfahren wir nicht.
Das Schnaufen einer angezogenen Lkw-Bremse Mopeds schrill Fahrradgeklingel, es rattert ein Tor auf. Eine Dieselmaschine. Anfahren, stoppen, ich gerate ins Trudeln. Irgendwo wurde hier gestern gebaut, es wird hier überall gebaut. »Heiße Birne, wa?!«: Irgend sowas.
Achilles Borkenbrod, immer eine Sprühdose bei sich, verläßt seinen Unterschlupf, eine aufgelassene Wohnung inmitten der Zentralstadt. Vielleicht. Oder eine Art Slum, wohinein nicht einmal Polizisten und Milizionäre sich trauen. Geht aber direkt in ein von Dienstleistungsgewerbe brodelndes Handelsviertel über. Nicht aber doch Colón: heruntergekommene Altstadt?
Er schließt also die Tür hinter sich, aber das macht kein Geräusch. Es gibt auch kein Schlüsselknirschen, kla