: Anthony Powell
: Die Philosophen des Krieges Ein Tanz zur Musik der Zeit - Band 9
: Elfenbein Verlag
: 9783941184848
: 1
: CHF 16.20
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: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der zwölfbändige Zyklus 'Ein Tanz zur Musik der Zeit' -­ aufgrund­ seiner inhaltlichen­ wie formalen Gestaltung immer wieder mit Mar­cel Prousts 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit' verglichen -­ gilt­ als­ das­ Hauptwerk des­ britischen Schriftstellers Anthony Powell und gehört zu den bedeutendsten Romanwerken des 20. Jahrhunderts. Inspiriert von ­dem ­gleichnamigen Bild des französischen Barockmalers Nicolas Poussin, zeichnet der Zyklus ein facettenreiches Bild der englischen Upperclass vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die späten sechziger Jahre. Aus der Perspektive des mit typisch britischem Humor und Understatement ausgestatteten Ich­-Erzählers Jenkins - der durch so­ manche­ biografische­ Parallele­ wie­ Powells­ Alter ­Ego­ anmutet - bietet der 'Tanz' eine Fülle von Figuren, Ereignissen, Beobachtungen und Erinnerungen, die einen einzigartigen und auf­schlussreichen Einblick geben in die Gedanken­welt der in England nach wie vor tonangebenden Gesellschaftsschicht mit ihren durchaus merkwürdigen Lebensgewohnheiten.

Anthony Powell (1905-2000) besuchte das Eton College, studierte in Oxford und heiratete eine Adlige. Er arbeitete als Lektor in einem Londoner Verlag, schrieb Drehbücher und Beiträge für britische Tageszeitungen, war Herausgeber des Magazins 'Punch' und Autor zahlreicher Romane. Jene gesellschaftliche Oberschicht Großbritanniens, der er selbst angehörte, porträtierte er in seinem zwölfbändigen Romanzyklus 'A Dance to the Music of Time'. Während seine Altersgenossen und Freunde Evelyn Waugh, Graham Greene und George Orwell sich auch im deutschsprachigen Raum bis heute großer Popularität erfreuen, ist Anthony Powell hierzulande noch nahezu unbekannt. Über den Übersetzer Heinz Feldmann vermerkte Anthony Powell in seinem Tagebuch: 'I am lucky to have him as a translator.'
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Wie Finns schmerzender Kiefer in jener Marschkolonne pochte auch der Krieg weiter und weiter, unterbrochen nur von Intermezzi, in denen in der Eile mehr als einmal der falsche Zahn gezogen worden zu sein schien. Inzwischen lebte ich in einer Einzimmerwohnung im achten Stock eines nüchternen Wohnblocks im Stadtteil Chelsea. Das private Leben, scheinbar im Stillstand befindlich, formte, wie stets, neue Muster. Isobels Bruder George Tolland (mittlerweile zum Oberstleutnant befördert und als
A und Qim Stab einer Di­vision im Mittleren Osten diensttuend) war schlimm verwundet worden und lag in einem Lazarett in Kairo. Roddy Cutts, der Ehemann ihrer Schwester Susan, Major in einer Kavallerieeinheit, die in ein Aufklärungscorps umgewandelt worden war, hatte kürzlich nach Hause geschrieben, er habe sich in eine der Frauen verliebt, die am Generalhauptquartier der Persien/Irak-Streitkräfte die Telegramme entschlüsselten, und wünsche die Scheidung, auch wenn er damit den Ruin einer vielversprechenden politischen Karriere riskiere. Diese Eventualität, die für Susan, aber auch für den Rest der Familie, völlig unerwartet kam, denn Roddy hatte stets als ein in dieser Hinsicht ziemlich wenig unternehmungslustiger Mann gegolten, erzeugte große Bestürzung.

Wenn es nicht notwendig war, dass ich bis spät im Regierungsviertel blieb, ging ich gewöhnlich nach dem Dienst direkt in eine nahegelegene Kneipe, aß dort zu Abend und zog mich dann mit einem Buch ins Bett zurück. In dieser Periode war es das siebzehnte Jahrhundert, das mich besonders beschäftigte, so dass Werke wie Anthony Woods»Athenae Oxonienses«oder Narcissus Luttrells»Brief Relation«Ausblicke auf eine Vergangenheit eröffneten, die, wenn man sie auch nicht notwendigerweise unserer eigenen Zeit vorzuziehen vermochte, zumindest deutlich anders war. Als Abwechslung von dieser historischen Lektüre las ich Proust. Die Wohnung selbst war eigentlich gar nicht so übel. Die stetig wechselnde Einwohnerschaft des Blocks, eine bunte Mischung, die zu einem großen Teil aus Personen beiderlei Geschlechts bestand, die für die Ministerien arbeiteten, umfasste auf der weiblichen Seite eine Skala, die von hochrangigen Sekretärinnen, Offizieren der Frauendienste und Organisatorinnen des einen oder anderen bis hin in die nebulöse Welt von alleinlebenden Geschiedenen und unsteten Typen noch schwerer zu definierenden Charakters reichte, Typen, die wahrscheinlich, was dieKriegsanstrengungen‹ anging, so gut wie unbrauchbar waren, es jedoch aus dem einen oder anderen Grund vorzogen, in London zu bleiben und die Luftangriffe zu ertragen. An warmen Abenden konnte man diesen ungebundenen Damen auf dem flachen Dach des Gebäudes begegnen, wo sie sich ergingen, den zu ihrem Einsatz startenden Bombern nachschauten, um Zigaretten oder Feuer baten und sich untereinander oder gegenüber jedem, mit dem sie in Kontakt getreten waren, über die Unzulänglichkeiten von Miss Wartstone beschwerten.

In einem anderen Stockwerk des Blocks hatte auch Hewet­son, der Offizier der Abteilung, der für die Belgier und Tschechen zuständig war, eine Wohnung gemietet. Eine Zeitlang gingen er und ich jeden Morgen zusammen zum Dienst. Doch dann entschloss er sich, sich mit einem Freund bei der Admiralität (der eine Beziehung zu einer Frau hatte, die kochen konnte) eine größere Wohnung zu teilen, und zog weg. Hewetson war in seinem Privatleben Rechtsanwalt und vermittelte, obwohl er nicht viel über solche Dinge sprach, den Eindruck, bei Zufallsbekanntschaften erfolgreicher als Borrit zu sein. Er gab einmal zu, eine Art Abenteuer, das daraus entsprang, dass er sich während der Erholungsphase nach einem Grippeanfall auf dem Dach sonnte, mit einer jener Sirenen der Schornsteinaufsätze zu haben. Eine andere sagte ihm, sie könne emotionale Intimität nur mit jemandem ihres eigenen Geschlechts erreichen. Hewetson kan