: P. Howard, Jen? Rejt?
: Ein Seemann aus der Neuen Welt Ein analoger Revuekrimi
: Elfenbein Verlag
: 9783941184930
: 1
: CHF 16.20
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Willkommen zurück im lauschigen Zwielicht der Hochseeganoven! Der vornübergeneigte Leser darf endlich aufatmen, denn Jimmy Reeperbahn gibt sich wieder die »Habe die Ehre!« und nebst ihm auch seine seriösen Gesinnungskumpel aus der Hautevolee aller Häfen dieser großen, weiten Welt: vor allem seine neueste Flamme Jennifer Fiasko und der zutiefst anrüchige Kapitän Fred Unrat, ferner der schillernde Menschenhändler Sülze Strebsam und erstmalig auch der mit allen alkoholischen Wässerchen gewaschene Herr Wagner mit dem blauen Bart (Arien inbegriffen) - eines der wunderlichsten Geschöpfe aus Rejt?s visionärem Wachsfigurenkabinett - und sein Spatz Arnold! Haben Sie nicht auch schon öfter den Wunsch verspürt, zur mächtigen und be­ wunderten Kaste der Millionäre zu gehören? Natürlich haben Sie! Wenn Sie die­ sen Roman wieder aus der Hand legen, werden ihnen solche Grillen für immer ausgetrieben sein. Mr. Theo, unser Held, ist zwar Millionär, aber alles andere als beneidenswert. Nein, nicht wegen seiner charmanten Sommersprossen, sondern weil er, um seine Angebetete zu erobern, zu einem erbitterten Mittel greift, sprich: Er will ein nützliches und werktätiges Mitglied der Gesellschaft werden. Sobald als möglich, so leicht als möglich, so spektakulär als möglich. Den ersehnten Ruhm erhofft er sich vom Wiederauffinden eines verschollenen Forschers und Entdeckers, wobei er sich eines Tricks bedient, den ihm eben dieser nur angeblich verschollene Geograf in den Kopf gesetzt hat: Er nimmt ihn einfach in einer gemütlichen Kiste mit aufs Schiff - und »findet« ihn auf einer entlegenen Insel voller Kannibalen, nachdem er ihn dort ausgesetzt hat. So weit so schön. Aber einen Strich durch diese findig-faule Rechnung machen ihm viel zu viele widrige Gestalten und schräge Umstände: ein Pestkahn, maritimer Gespensterspuk, ein verschmitztes Schoßäffchen, jede Menge schlagkräftiger Gauner, eine wiedergän­gerische Mundharmonika, ein Sammelsurium völlig untragbarer Passagiere ...

Unter dem Pseudonym P. Howard (1905-1943) veröffentlichte Jen? Reich alias Jen? Rejt? im Budapest der 30er Jahre seine unnachahmlichen ironischen Geschichten, die in Ungarn bis heute ungezählte Neuauflagen erlebt haben. Seine absurden Dialoge sind die einzigartige Würze der Romane Jen? Rejt?s. Nicht weniger abenteuerlich tragikomisch war seine Lebensgeschichte: Aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammend, wollte er nach dem Abitur Schauspieler werden, brach die Ausbildung aber ab, um durch die Welt zu streunen. In Afrika wurde er angeblich Fremdenlegionär, und mit 28 Jahren verschlug es ihn wieder nach Hause, wo er mit seinen Romanen immer erfolgreicher wurde. Der Verlag Nova riet ihm zu einem englischen Pseudonym - so wurde aus Jen? Rejt? P. Howard, ein Parodist von Abenteuer- und Kriminalromanen. Während des Krieges wurde er von den Nazis zum Arbeitsdienst nach Woronesch (Ukraine) deportiert, wo er am Neujahrstag 1943 erfror. In Ungarn zählt P. Howard, der Meister des Katastrophenwitzes, zu den beliebtesten Schriftstellern. In den kongenialen Übersetzungen von Vilmos Csernohorszky jr. erschienen bereits die Romane: »Ein Seemann von Welt« (2004), »Ein Seemann und ein Gentleman« (2008), »Ein Seemann in der Fremdenlegion« (2012), »Ein Seemann und ein Musketier« (2014), »Ein Seemann aus der Neuen Welt« (2016)

zweites kapitel


Dem notorischen Toten begegnete Mr. Theo in seinem rie­sigen Schlafzimmer, als er auf das zudringliche Schnarchen dieses verblichenen Herrn aufmerksam wurde. Mit ge­sträubten Haaren beugte er sich nieder, um unter das Bett zu spähen, und erblickte besagte Leiche, die heftig schlafend in Frieden ruhte.

»Hallo! Sie! Was soll denn das? Kommen Sie sofort unter meinem Bett hervor!«

Die sterbliche Hülle zuckte die Achseln, wie jemand, der es nicht mag, wenn jede Kleinigkeit gleich übertrieben wird, und knurrte mit beschwichtigendem Spott:

»Bitte, bitte … Warum regen Sie sich denn so auf, werter Herr?«

Er kroch hervor, wobei er mit seinen Schultern die Lampe mit dem weinroten Seidenschirm umstieß, stand auf und öffnete das Fenster. Dann streckte er seine rechte Hand hinaus, als wollte er die zahmen Hirsche des Schlossparks segnen, und bemerkte schließlich mit einem säuerlichen Ge­sicht:

»Es regnet … Erstaunlich, dass es in San Francisco jeden Mitt­woch regnet. Daran sind wohl die Fabriken schuld. Wie spät ist es?«

Der rothaarige Millionär setzte sich sofort in einen Fau­­teuil, um das Geschehen bei vollem Komfort und mit sei­nem breitesten Grinsen zu genießen. Solche Menschen sammelte er – im Gefühl, dass auf der Welt jeden Tag so viel Widersinniges geschah, selten jedoch amüsanter Natur, dass man für jede Ausnahme dankbar sein musste.

»Wer sind Sie?«, fragte er.

»Egon Small, Vertreter für Staubsauger und Eisenbahnfahrkarten. Sehr erfreut. Darüber hinaus bin ich schon seit einigen Jahren aus dem Leben geschieden, was nebenbei nicht ausschließt, dass Sie mir eine Zigarette anbieten dürfen.«

»Zigaretten habe ich keine. Wollen Sie vielleicht eine Zigarre?«

»Nein. Lassen Sie Zigaretten bringen. Einem Gast macht man keine Angebote, die nach einem Ultimatum klingen.«

»Werden Sie aber verzeihen, dass ich gewagt habe, mein Schlafzimmer aufzusuchen?«

»Natürlich. Das nehme ich Ihnen ja gar nicht übel. Aber was war denn so dringend, dass Sie mich unbedingt wecken mussten? Wir leben nicht in Zeiten, mein Herr, in denen ein intelligenter Mensch jeden wecken kann, besonders wenn man gerade einem wohlverdienten Nickerchen nachgeht … Schnaps haben Sie natürlich auch keinen, wie?«

»Einen Portwein kann ich Ihnen gern anbieten.«

»Typisch …«, brummte der Unbekannte mit spitz-bitterem Hohn. »Ein Millionär … Ja, typisch!« Er winkte mit der Hand, als ließe er sich nur von seiner resignierten Höflichkeit daran hindern, eine vernichtende Meinung zu äußern, und nahm vom Spiegeltisch einen Zerstäuber mit Kölnischwasser, mit dem er sein jäh verklärtes Gesicht besprengte.

»Ich lasse sofort Schnaps bringen«, rief Mr. Theo begeistert. »Und auch Zigaretten! Sie sind von nun an mein Freund!«

»Hm … Erlauben Sie, dass ich mich in diesem Fall nach Ihren familiären Umständen erkundige?«, entgegnete der mysteriöse Gast und fragte mit der Barschheit eines tadelnden Beamten, der aus dem Grabe steigt, um sich sogleich in ein unübersichtliches, aber nichtsdestoweniger gnadenloses Formblatt zu verwandeln:

»Name Ihres Vaters?«

»Walter Lincoln.«

»Sind sie entfernt mit dem seligen Abraham verwandt?«

»Insofern wir hoffen, eines Tages in seinem Schoße zu ruhen.«

»Ich meinte den großen Präsidenten, der in einer Theaterloge erschossen beziehungsweise niedergestochen wurde.«

»Wir sind unschuldig! Meine Ahnen haben in keinem Theater der Welt jemals einen Präsidenten umgebracht. Dieser Art Vergnügung huldigten sie nicht.«

»Eine hübsche Familie …«, höhnte der Besucher und kostete von einem puddingähnlichen Etwas, spuckte es aber wieder aus, als es sich als Pomade erwies.

»Ich würde gern kalten Aufschnitt essen, aber ich warne Sie: Wenn Sie antworten, Sie hätten nur warmes Schweinekotelett im Haus, dann werde ich Ihnen auf der Stelle und ohne zu zögern eine ausgewachsene Kränkung zufügen.«

»Wieso glauben Sie, es wäre meine Pflicht und Schuldigkeit, Sie zu verwöhnen?«

»Weil ich in der Anzeige las, dass Sie in monetärer Hinsicht ein ziemliches Schwergewicht darstellen. Daran beginne ich übrigens zu zweifeln, da Sie mir bezüglich des Ankaufs von Spirituosen und Tabakwaren ständig Versprechungen machen, nur damit Sie dieselben mit voller Absicht gleich wieder brechen und vergessen.«

Nach diesen zynischen Äußerungen verschwand er bis zur Hüfte im Schrank.

»Würden Sie irgendwo mit mir zu Mittag essen?«, lautete die spontane Einladung Mr. Theos, dessen Laune immer mehr einem Höhenflug glich. »Wann haben Sie gefrühstückt?«

»Es sind keine zwei Tage her«, antwortete der böse Gast.