Prolog
1.
Vier Nationen waren am Tisch vertreten: ein amerikanischer Infanterist, ein französischer Gefreiter, ein englischer MG-Schütze und ein russischer Fleischsalat. Der Infanterist, der Gefreite und der MG-Schütze hatten auf der Bank Platz genommen, der Fleischsalat auf dem Tisch, in einer Schüssel.
Zeit:7Uhr nachmittags.
Schauplatz: Afrika, Rachmar, eine abgelegene Garnison in einer trostlosen Sahara-Oase, wo einige Dutzend vergessener Fremdenlegionäre und ein paar armselige Araber dahinvegetierten.
Personen: Identität ungeklärt.
Vorkommnisse: Keine.
Das auffälligste Charakteristikum der Oase von Rachmar bildete der Umstand, dass sie die am wenigsten auffällige und charakteristische Oase Afrikas war.
In ihrer Mitte lag ein Militärlager, umgeben von einer Lehmmauer. Das Ganze bezeichnete sich ohne jeden Grund, nur so aus Gewohnheit, als »Fort«.
Einen Begriff von der Widerstandskraft des »Forts« bot ein jüngerer Vorfall, als nämlich der betrunkene Korporal wütend gegen die Wand trat und gleich darauf schwer verletzt ins Lazarett eingeliefert wurde, nachdem ein Wachtturm über ihm eingestürzt war.
Aber man nannte es dennoch »Fort«. Und eine Nummer gab man ihm auch. Dieses Fort war die Nummer72in der Reihe ähnlicher Baulichkeiten in der Sahara.
Hinter der Rundmauer standen ein »Stabsquartier« (ein kleines einstöckiges Haus aus Rohziegeln) und zwei Baracken für die Besatzung. In der Baracke lebten Soldaten, und in den Soldaten eine stumpfe Lethargie – infolge der Hitze und der öden Gleichförmigkeit der Tage.
Ungefähr fünfzig Palmen umringten das Fort: Staubige, matte, magere, halbtote Bäume, in deren Wipfeln eine beklagenswerte Horde gemütskranker Affen herumlungerte. Diese behaarten Väter der altehrwürdigen Evolutionstheorie wären liebend gern in üppigere Gefilde umgezogen, wussten aber nicht, auf welchen Pfaden es sie überhaupt hierher verschlagen hatte.
Zwischen den Palmen standen acht bis neun schäbige Hütten, die manDuarnannte. Ihr Sinn und Daseinszweck war unbekannt, denn die eingeborenen Besitzer gingen jahraus, jahrein nicht durch die Tür. Aber sie bewegten sich auch nicht von der Türe fort. Wohin sollten sie in der heißen Oase auch gehen? Oder was sollten sie in den Hütten tun? Andererseits war es auch nicht klar, was diese Araber vor der Hütte zu suchen hatten, wo sie doch nur herumsaßen. Aber ist es denn Sinn und Zweck einer Oase, in allem den Gesetzen der Logik zu entsprechen?
Also aßen, tranken, schliefen und langweilten sich die Eingeborenen vor der Hütte. Was erwartete sie schon in der Duar? Ein eingedrückter Topf, einige zerbrochene Habseligkeiten, eine verrottete Matte und ähnliches Gerümpel lagen verstreut auf der gestampften Erde. Außerdem lebten auch einige tausend Fliegen in der Behausung. Das alles war es nicht wert, dass man es aufsuchte, und die Ziege kam auch von selber heraus, wenn ihr der Magen knurrte.
Mittelpunkt der Oase Rachmar war das »Grandhotel«. Abweichend von gleichnamigen europäischen Institutionen war das »Grandhotel Rachmar« ein mieser, kleiner Verschlag und bildete einen einsamen, pathetischen Vorposten des in Europa triumphierenden Bauhausverhaus. Der Besitzer, ein Halsabschneider, dem ein Auge fehlte und der seine zehnjährige Haftstrafe vorschriftsmäßig verbüßt hatte, war nun stolzer Betreiber dieses Speiserestaurants, gegründet mit den Erträgen aus seiner emsigen Vergangenheit. Karawanen, die nach Timbuktu zogen, und durchreisende Jagdgesellschaften bildeten seine größeren Einnahmequellen, während die beiden arabischen Gendarmen der Oase und die hundert Mann starke Garnison für den laufenden Geschäftsgang sorgten.
Das Grandhotel brachte, wie der Name schon sagte, die herrschaftliche Illusion der großen, weiten Welt in die Sahara. Zwar hatten sich Würmer aller Art durch die halbzolldicke Wand gefressen, zwar erinnerten diese Löcher in der Wand und die wackligen Bänke nur entfernt an die Wohlfühlabsteigen europäischer Parvenüs, aber war da nicht auch noch ein Radioapparat? Außerdem kamen so gut wie alle zwei Monate die neuesten Tageszeitungen, und vor allem tanzte hier Leila (die arabische Dämonin).
Diese durchaus bemerkenswerte Darbietung verlor aber etwas von ihrer Anziehungskraft durch jenes allseits bekannte Faktum, dass Leila (die arabische Dämonin) ihr fünfzigstes Lebensjahr schon vor geraumer Zeit vollendet hatte. Der Zahn des Alterns sowie das Messer eines nervösen Eingeborenen hatten auf ihrem Gesicht tiefe Spuren hinterlassen. Deshalb tanzte Leila (die arabische Dämonin) nur selten, und ihre Einlagen beschränkten sich vor allem auf das rhythmische Schlagen eines fellbezogenen Tamburins. Aber auch dies nur so lange, wie es von den Gästen geduldet wurde. Wenn sie von diesen zur Stille aufgefordert wurde, zog sie sich in eine abgelegene Ecke zurück, wo sie – in ihrer dämonischen Empfinds