TeilII
Der Khan
Um6.15Uhram Morgen nach dem Cricketturnier und Hauptmann Detterlings Einladung zum Abendessen traten die Fahnenjunker von Kp C zur Körperertüchtigung an.
Muscateer, der ganz fahl und schwach aussah, hatte sich mit den anderen zusammen in Reih und Glied gestellt. Obwohl er die Aufwärmübungen »tiefes Atmen« und »Knie beugen« überstand, brach er, als er die Sprunghocke übers Pferd machen sollte, darauf zusammen und blieb wie ein schlaffer Sack oben hängen. Der britische Unteroffizier, der als Übungsleiter den2. Zug trainierte, schälte ihn herunter, schüttelte ihn aus und stellte ihn zurück auf die Beine.
»Versuch’s noch mal, Jungchen«, sagte der Unteroffizier. »Ganz in Ruhe.«
Also ging Muscateer zehn Schritte vom Pferd weg und wankte dann noch einmal darauf zu. Als er nur noch ein oder zwei Meter entfernt war, sackten die Knie unter ihm weg, er fiel platt hin und schlug mit der Nase an einem der Beine auf. Dieses Mal war er, als der Übungsleiter ihn aufhob, blutüberströmt und starrte mit einem unbewegten Lächeln ins Nichts, wobei das Lächeln Peter Morrison kurioserweise, so dachte er, an Ley Wongs Grinsen beim Einlass in dessen Restaurant am Abend zuvor erinnerte.
»Geh da rüber und setz dich in den Schatten, Jungchen«, sagte der Übungsleiter.
Muscateer bewegte sich nicht. Der Übungsleiter winkte Peter und Barry herbei, die Muscateer in den Schatten eines großen Banyanbaums halfen, der sich am Rande des Sportfelds befand. Während sie ihn bequem hinsetzten und versuchten, seine langen Beine in eine mehr oder weniger würdevolle Haltung zu bringen, erschien hinter dem Baum ein kleiner, dünner Mann mit einer großen, kahlen Kugel als Kopf – wie der Bauer beim Schach – und trat zu ihnen hin. Er trug Khaki-Drillich, Shorts, Stiefel und Wickelgamaschen bis zu den Knien; seine beiden Daumen hatte er in die beiden Schultergurte eines schwarzen Sam-Browne-Gürtels geklemmt, an dessen linker Seite ein leerer Säbelfrosch baumelte.
»Ich«, sagte er, »bin Hauptmann Gilzai Khan. Wer sind Sie?«
»Fahnenjunker Morrison, Sir. J. U. O.«
»Fahnenjunker Strange, Sir … und das ist Fahnenjunker …«
»Lassen Sie ihn selbst antworten.«
»Muscateer«, murmelte Muscateer von den Wurzeln des Banyanbaumes empor.
»Sie, Fahnenjunker, sind der Earl von Muscateer«, bekundete Gilzai Khan mit unbewegter Miene. Er hockte sich hin, auf seinen Hintern. »Hören Sie mir zu,Bahadur. Sie sind jetzt einer meiner Männer, und meine Männer treten niemals aus der Reihe heraus, es sei denn, sie sind tot oder bewusstlos.«
»Aber er ist krank, Sir«, sagte Barry.
»Sie halten den Mund, Kleiner, wenn ich Sie nicht auffordere, etwas zu sagen.«
»Sir.«
»Nicht›Sir‹!«
»Sahib?«
Gilzai Khan fauchte wie eine Kobra.
»›Sahib‹«,sagte er, »sagt man zu einem Hausierer oder einemMunshi. Meine Männer nennen mich … Gilzai Khan.«
Er betrachtete den schlaff und aschfahl dasitzenden Muscateer aufmerksam. »MuscateerBahadur«, sagte er, »Sie werden jetzt aufstehen und mir folgen und über das Pferd springen.«
Noch am Boden hockend, schob er eine Hand unter Muscateers linke Achsel und drückte sich dann langsam, Muscateer mit nach oben befördernd, in den Stand hoch.
»Kommen Sie!«, sagte Gilzai Khan.
Mit der Hand weiterhin in Muscateers Achselhöhle trat er auf das Sportfeld hinaus. Er ließ Muscateer los (der schwankte, aber doch stehen blieb), rannte auf das Pferd zu, klatschte zweimal vor seinem Gesicht in die Hände und überquerte es beidhändig mit einem sauberen Hocksprung, wobei das schwarze Tragleder für den Säbel kurz von seinem Hinterteil abhob und in dem Moment, als er aufkam, wieder an seinen Platz zurückfiel. Er drehte sich zu Muscateer um und winkte.
»Bahadur!«,rief er.
Muscateer machte zwei quälerische Schritte und blieb stehen. Er schluckte mehrfach, und der Schweiß rann ihm in Tropfen groß wie Kirschen das Gesicht herab.
»Bahadur!«,rief Gilzai Khan.
Muscateer taumelte los. Er beugte den Kopf und rannte direkt auf das Pferd zu. Unter ihm schlenkerten seine Beine sinnlos wie lose Seilenden, und die Arme hingen ihm steif an den Seiten herab. Als er noch etwa anderthalb Meter vom Pferd entfernt war, machte er irrwitzige Hüpfer und warf sich in die Luft, krümmte sich über dem Pferd wie ein Stück Gummischlauch – und wurde von Gilzai Khan aufgefangen, der ihn, mit der Kehrseite nach oben, wie ein umgedrehtes »U« in der Luft hielt.
»Gut,Bahadur.