: Jacqueline Straub
: Wir gehen dann mal vor Zeit für einen Mutausbruch
: Verlag Herder GmbH
: 9783451824852
: 1
: CHF 12.50
:
: Christentum
: German
: 192
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Das ist doch völlig aussichtslos! Glaubst Du wirklich, dass sich die Kirche jemals ändern wird?' Diese Frage bekommt die junge Theologin Jacqueline Straub oft gestellt. Doch sie kämpft nicht nur seit vielen Jahren dafür, dass Frauen Priesterinnen werden dürfen. Sie träumt auch davon, dass neue Gemeindeformen ausprobiert werden, die Stimmen von Frauen Gehör finden, Homosexuelle kirchlich heiraten dürfen und Verhütung und Abtreibung kein Tabu mehr sind. Begegnungen mit Katholikinnen und Katholiken, die mutig Schritte nach vorn gehen, zeigen ihr: Es gibt Aufbrüche. In diesem Buch berichtet Straub davon und fordert auf, nicht zu verbittern, sondern selbst Licht anzumachen.

Jacqueline Straub, Jg. 1990, studierte in Freiburg, Fribourg und Luzern katholische Theologie. Heute arbeitet sie als Journalistin. Seit ihrer Jugend setzt sie sich dafür ein, dass Frauen Priesterinnen werden dürfen. 2018 wählte der BBC sie deshalb zu den 100 einflussreichsten und inspiriendsten Frauen (100 Women-List). Ihre Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Sie lebt in der Schweiz.

Angst überwinden


Mut zur Wut


Wut ist ein Wort, das in der katholischen Welt gerne ausgesperrt wird. Die letzten Jahre zeigen aber, dass die Basis sehr wohl wütend und fordernd sein kann. Doch: Wut darf es anscheinend in der Kirche nicht geben – schon gar nicht bei Frauen, die doch die «Erdbeeren auf der Torte» sind, wie Papst Franziskus einst betonte. Sicherlich würden gewisse Kleriker ihre Lai*innen gerne dazu aufrufen, liebenswerte, bescheidene und gefügige «Lämmer» zu sein. Der eigenen Wut wird gerne Frömmigkeit entgegengestellt. Wer fromm ist, ist normalerweise nicht wütend, sondern demütig und nimmt die Umstände so an, wie sie sind. Die katholische Amtskirche setzt bis heute voraus, dass nicht-geweihte Gläubige ihre Wut durch Beten in den Griff kriegen. Doch die Wut der Gläubigen ist inzwischen sichtbar geworden und schüchtert immer wieder Bischöfe und Priester ein. Wut impliziert, dass es laut ist, und wer wütend ist, macht auf einen Missstand aufmerksam oder zeigt einfach bloß, dass er anderer Meinung ist und endlich gehört werden möchte.

Papst Franziskus hat im Oktober 2014 im Vorfeld zur Familiensynode mit diesem Tabu gebrochen. Dass er sich in der Kirche eine offene Gesprächskultur wünscht, zeigt, dass er versucht, die Angststrukturen, über bestimmte Themen zu sprechen, nach und nach abzubauen: «Eine Grundbedingung dafür ist es, offen zu sprechen. Keiner soll sagen: ‹Das kann man nicht sagen, sonst könnte man ja schlecht über mich denken …› Alles, was sich jemand zu sagen gedrängt fühlt, darf mit Parrhesia (Freimut) ausgesprochen werden. Nach dem letzten Konsistorium (Februar 2014), bei dem über die Familie gesprochen wurde, hat mir ein Kardinal geschrieben: ‹Schade, dass einige Kardinäle aus Respekt vor dem Papst nicht den Mut gehabt haben, gewisse Dinge zu sagen, weil sie meinten, dass der Papst vielleicht anders denken könnte.› Das ist nicht in Ordnung, das ist keine Synodalität, weil man alles sagen soll, wozu man sich im Herrn zu sprechen gedrängt fühlt: ohne menschliche Rücksichten, ohne Furcht!»[1] Und auch beim Abschluss der Weltbischofssynode über Ehe und Familie im Jahr 2015 hat er die Bischöfe dazu aufgerufen, mehr Realitätssinn zu zeigen. Sie müssten das sehen, «was wirklich los ist», und nicht nur das, «was wir wirklich sehen wollen».[2]

Auf der Jugendsynode, im Jahr 2018, ermutigte Papst Franziskus die jungen Menschen, ihre Stimme zu erheben und ihre Meinung den Bischöfen kundzutun: «Ich lade euch dazu ein, euch in dieser kommenden Woche offen und voller Freiheit auszudrücken.»[3] Immerhin ermutigt der argentinische Papst regelmäßig, im Gespräch die Realität des kirchlichen Lebens darzulegen und nicht ein Wunschkonstrukt von Kirche zu entwerfen. Ob ihm dabei bewusst ist, dass immer mehr Gläubige nicht nur vorsichtig darauf hinweisen, wie ihre Lebenswelt aussieht, sondern inzwischen auch wütend sind, weil es nach wie vor eine große Anzahl von Bischöfen gibt, die nicht verstehen wollen, dass die Welt des Lehramts nicht ihre Realität abbildet?

Auch wenn heute noch immer gerne gesagt wird, dass Wut etwas Schlechtes und Unwürdiges sei, entdecken mehr und mehr Menschen in der Kirche die Wut für sich. Denn pos