Sonntag – vierter Advent
Die Melodie des Telefons vermischte sich mit dem Blues von Muddy Waters, der aus der Stereoanlage schallte, als Andreas Brander die Backofentür öffnete, um Bratensaft über die Gans zu gießen. Aus dem Inneren strömten ihm in einer dampfenden Wolke verheißungsvolle Düfte in die Nase und ließen ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen.
Noch eine Stunde, dann konnte das Festmahl zum vierten Advent beginnen. Es wurde Zeit, die Klöße vorzubereiten. Aber erst musste er dieses störende Telefon abstellen. Brander groovte zur Musik in den Flur, um das Gespräch entgegenzunehmen. Die Melodie verstummte, als er die Hand nach dem Hörer ausstreckte. Rufnummer unterdrückt.
»Dann eben nicht.« Im Rhythmus wippend kehrte er in die Küche zurück. Wie zum Hohn erklang »Long Distance Call« aus den Boxen. Als Altherrenmusik betitelte Nathalie seinen Musikgeschmack respektlos. Jetzt war seine Tochter mit Cecilia zusammen in der Kirche. Früher hatte es traditionell im Hause Brander am vierten Advent einen Brunch gegeben. Seit Nathalie erfahren hatte, dass sie als Baby getauft worden war, hatte sie beschlossen, auch den Gottesdienst hin und wieder zu besuchen, und der Brunch hatte dem Krippenspiel in der Michaelskirche weichen müssen.
Sein Neffe Julian war auf dem Weg nach Schönaich, um Branders Eltern zum Essen mit nach Entringen zu bringen. Brander genoss die kurze Zeit, die er das Haus für sich allein hatte. So konnte er ungestört durch die Küche tanzen und mit Muddy Waters im Duett singen, ohne dass jemand seine Sangeskunst kommentierte.
Sein Blick glitt zum Fenster. In wenigen Tagen war Weihnachten, die Sonne strahlte von einem pastellblauen Himmel, und ein paar kecke Frühblüher streckten wagemutig die ersten zarten grünen Spitzen aus dem kleinen Beet vor Branders Doppelhaushälfte, als erwarteten sie den umgehenden Beginn des Frühlings. Es fehlte nur noch das muntere Gezwitscher der Vögel. Dabei würde er gleich mit seiner Familie ein köstliches Adventsessen genießen.
Und das als »richtige« Familie, wie Nathalie sagen würde. Im vergangenen August hatten er und Cecilia zum neunzehnten Geburtstag ihrer Pflegetochter beschlossen, ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen und sie zu adoptieren. Da Nathalie volljährig war, benötigten sie das Einverständnis ihrer leiblichen Mutter nicht mehr. Gudrun Böhme hätte nie ihre Zustimmung gegeben. Die alkoholkranke Frau war mittlerweile obdachlos, hatte jedoch jegliche Hilfsangebote der Ämter ausgeschlagen. Nathalie hatte nach einem heftigen Zwischenfall vor zwei Jahren vollständig mit ihr gebrochen.
Durch das Küchenfenster sah Brander Karsten Beckmann auf die Garageneinfahrt fahren. Der Dreiundvierzigjährige trug einen eng anliegenden Radlerdress, der seine sportliche Figur betonte, die kurzen dunklen Haare schimmerten unter dem schnittigen Helm hervor.
Beckmann war aus Tübingen nach Entringen geradelt, um am Adventsessen teilzunehmen. Seinen besten Kumpel hatte Brander zwar nicht adoptiert, aber auch er gehörte zur Familie. Beckmann hatte Brander schon oft mit seinen Kochkünsten beeindruckt. Heute war es an ihm, Familie und Freunden einen wahren Gaumenschmaus zu präsentieren. Er drehte die Musik leiser, ging in den Flur und öffnete die Haustür, als die Melodie eines Smartphones auf der