3. Freizeit mal anders
Nördlinger Ries
Auch wenn mein Alltag sehr gefährlich und anstrengend durch die Ungewissheit und die stete Bedrohung war, so wollte ich doch immer versuchen, diesem auch ein paar gute Seiten abzugewinnen. Ich glaube, in jedem Menschen ist die Eigenschaft verankert, immer wieder aufzustehen und weiterzumachen, eine Art innere Triebfeder, das"monistische Prinzip", wie Freud es nannte.
Nach zwei Jahren in der Firma hatte sich zudem eine Art Routine bei mir eingestellt, eine Kenntnis der Abläufe, wodurch ich genau wusste, wie ich auch Zeit für mich verwenden konnte. Oft nahm ich mir einfach die Zeit, die ich brauchte, klaute sie mir gewissermaßen. Dies waren Momente, in denen ich tief zu mir finden konnte. Momente, die nur mir gehörten und in denen ich sehr bewusst alles wahrnahm, besonders die Natur und andere Menschen. Dann fühlte ich mich nicht mehr als Lkw-Fahrer, sondern eher wie ein Tourist, der eine fremde Umgebung erkundet. Es machte mir Spaß, in diese Rolle zu schlüpfen, und so dem Alltag zu entfliehen. Ich erinnere mich an verschiedene Orte, die ich fern von meiner Heimat besonders lieb gewonnen hatte und die gewissermaßen zu meiner zweiten Heimat geworden waren.
Es waren kleine, verträumte Orte oder Landschaften, die mit einem gewissen Mythos oder etwas Geheimnisvollem behaftet waren. Zu diesen Landschaften gehörten das Nördlinger Ries oder der Ort Schöngau in Baden-Württemberg.
Durch das Nördlinger Ries fuhr ich immer, wenn ich nach Augsburg zu einer großen Fabrik musste, die Möbelteile produzierte. Die Firma hieß Maierhofen. Diese Fahrt bedeutete immer eine Menge Stress, der Druck von oben war enorm, man wurde immer gedrängt, möglichst schnell wieder auf der Straße zu sein. Wir von Gutenbrock erhielten immer die"Knüppelfahrten", vor denen Maierhofen seine eigenen Fahrer bewahren wollte, und die zumeist an unwegsame, bergige Orte führten, mit schlechter Möglichkeit, zu wenden oder schnell voranzukommen, oder ohne professionelle Entlade-Hilfe vor Ort.
Ich möchte jedoch zuvor noch auf meine touristischen Eskapaden zurückkommen. Im Nördlinger Ries beschäftigte mich immer die eigenwillige Landschaftsgestalt, man kennt ja die Geschichte vom Einschlag eines Großmeteoriten vor etwa 14,8 Millionen Jahren, ähnlich wie die vom Chiemgau–Meteoriten.
Schon bei der Fahrt dorthin, in der Nähe der Burg Krapfenburg, auf einem hohen Hügel gelegen, fällt das markante Kraterpanorama auf. Man fährt hinein in einen riesigen Krater, eben das Nördlinger Ries, mit einem mittleren Durchmesser von 24 km.
Beim Gedanken an die Urgewalten, die einst hier freigesetzt worden sind (vergleichbar rund 250.000 Hiroshima-Bomben), und der kosmischen Bedeutung wurde ich immer ganz euphorisch und vergaß quasi die irdischen Sorgen. Sobald ich den Kraterrand, der noch heute als Gebirgszug erhalten ist, überfahren hatte, fühlte ich mich in eine andere Dimension versetzt, ich fühlte mich wie ein Astronaut auf extraterrestrischer Entdeckungsreise.
Dementsprechend betrachtete ich auch die Landschaft. Besonders Baugruben hatten es mir angetan. Ich fand hier oft Überbleibsel des kosmischen Spektakels, sogenannte Kraterauswurfsgesteine (Suevite). Diese markanten grünen Brocken mit weißen quarzartigen Einschlüssen findet man häufig in dieser Gegend, und ich nahm sie gerne mit nach Hause, wo ich sie in meinen Vorgarten legte.
War ich mit dem Laden im Möbelwerk in Augsburg fertig, so gönnte ich mir immer eine Auszeit, eine touristische Erholungszeit, wie ich sie nannte. Nach Abfahrt aus dem Werk und