: Ralf Konersmann
: Welt ohne Maß
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104911441
: 1
: CHF 22.00
:
: Politik
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Kieler Kulturphilosoph Ralf Konersmann zeigt: In der europäischen Geschichte waren Maß und Maße, Ethik und Technik, Moral und Wissen zwei Seiten ein und derselben Medaille. Es galt, sich nicht bloß hier oder da, sondern generell an das Maß zu halten - an das, was sowohl sachlich als auch sittlich geboten ist. Konersmann erzählt nun die große Ideengeschichte des Maßes: wie dieses Verhältnis wechselseitiger Bestätigung von Maß und Maßen einmal gedacht und gesichert war, unter welchen Umständen es dennoch zerbrach und welche Konsequenzen das Auseinandertreiben der vormals verbundenen Begriffswelten nach sich zog. Konersmann rückt den heute allgegenwärtigen Vormarsch des Messens, Zählens und Rechnens in eine genealogische Perspektive, durch die wir ihn erst wirklich verstehen - und unsere Gegenwart besser begreifen.

 Ralf Konersmann, geboren 1955, ist Professor für Philosophie und Publizist. Bis März 2021 war er Direktor des Philosophischen Seminars an der Christian-Albrechts-Universit t zu Kiel. Er ist Wissenschaftlicher Beirat mehrerer philosophischer Zeitschriften und war Gründungsmitglied der Hamburger Akademie der Wissenschaften sowie Mitherausgeber des »Historischen Wörterbuchs der Philosophie«. Im S. Fischer Verlag hat er zuletzt das »Wörterbuch der Unruhe« (2017) veröffentlicht, für das er den Tractatus-Essaypreis des Philosophicum Lech verliehen bekommen hat, sowie den großen Erfolg »Die Unruhe der Welt« (2015).

Kapitel EinsEthik des Maßes


Wozu überhaupt Geschichte? – Aufklärung heute – Diesseits der Extreme – Vom Umgang mit den Dingen – Unscheinbarkeit und Begriff – Ethik des Maßes – Lebendiges Maß – Kleines Karo – Maß undNorm

Vielleicht ist es die erstaunlichste Entdeckung der Moderne, dass die Vergangenheit so riesig ist.

JohnBerger,Die vertikale Linie

Wer sich auf das Thema des Maßes einlässt, wird eines rasch bestätigt finden: dass dies, wieHegel feststellt, »eine der schwierigsten Materien« derPhilosophie[4] überhaupt ist.

 

Wozu überhaupt Geschichte? – Das mag zunächst überraschen, ist doch das Wortfeld des Maßes mit seinen zahlreichen Varianten und Variationen, um das mindeste zu sagen, allgemein geläufig und vertraut. Der zweite Blick weckt dennoch Zweifel. Worauf die Geltung des Maßes beruht, sein Ansehen, ist weder durch die Erfahrung seiner Allgegenwart noch durch das Wissen um seine Praktikabilität bereits erklärt. Worauf seine Anerkennung beruht, ist eine offene Frage – und das auch da, wo sich das Maß als Zahlenwerk präsentiert und ihm, wo es in Gestalt von Statistiken, tabellarischen Aufstellungen und farbenfrohen Diagrammen auftritt, eine ganz eigene und, wie sich gezeigt hat, übermächtige Evidenz zugestanden ist.

Die Frage ist also, worauf die Vorbehaltlosigkeit dieses Zuspruchs beruht. Im Folgenden vertrete ich die These, dass dieses unbedingte Vertrauen auf die Zusicherungen einer Weltordnung zurückgeht, die mit dem Maß ebenjene Seite der Welt hervorkehrt, die den Menschen und ihren Bedürfnissen zugewandt ist. Was aber diesesMaß selbst sein mag, unabhängig von der Zugewandtheit der Dinge und dem Umgang mit ihnen, entzieht sich der Definition. Gewiss, objektivierende Verfahren messen, und offenkundig messen sie, was die ermittelten Werte ang