Kapitel EinsEthik des Maßes
Wozu überhaupt Geschichte? – Aufklärung heute – Diesseits der Extreme – Vom Umgang mit den Dingen – Unscheinbarkeit und Begriff – Ethik des Maßes – Lebendiges Maß – Kleines Karo – Maß undNorm
Vielleicht ist es die erstaunlichste Entdeckung der Moderne, dass die Vergangenheit so riesig ist.
JohnBerger,Die vertikale Linie
Wer sich auf das Thema des Maßes einlässt, wird eines rasch bestätigt finden: dass dies, wieHegel feststellt, »eine der schwierigsten Materien« derPhilosophie[4] überhaupt ist.
Wozu überhaupt Geschichte? – Das mag zunächst überraschen, ist doch das Wortfeld des Maßes mit seinen zahlreichen Varianten und Variationen, um das mindeste zu sagen, allgemein geläufig und vertraut. Der zweite Blick weckt dennoch Zweifel. Worauf die Geltung des Maßes beruht, sein Ansehen, ist weder durch die Erfahrung seiner Allgegenwart noch durch das Wissen um seine Praktikabilität bereits erklärt. Worauf seine Anerkennung beruht, ist eine offene Frage – und das auch da, wo sich das Maß als Zahlenwerk präsentiert und ihm, wo es in Gestalt von Statistiken, tabellarischen Aufstellungen und farbenfrohen Diagrammen auftritt, eine ganz eigene und, wie sich gezeigt hat, übermächtige Evidenz zugestanden ist.
Die Frage ist also, worauf die Vorbehaltlosigkeit dieses Zuspruchs beruht. Im Folgenden vertrete ich die These, dass dieses unbedingte Vertrauen auf die Zusicherungen einer Weltordnung zurückgeht, die mit dem Maß ebenjene Seite der Welt hervorkehrt, die den Menschen und ihren Bedürfnissen zugewandt ist. Was aber diesesMaß selbst sein mag, unabhängig von der Zugewandtheit der Dinge und dem Umgang mit ihnen, entzieht sich der Definition. Gewiss, objektivierende Verfahren messen, und offenkundig messen sie, was die ermittelten Werte ang