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Samstag, 23. November
Lisa Yamamoto wartet, bis sich die verchromte Aufzugtür schließt. Dann atmet sie die Luft, die sich in ihrem Brustkorb angestaut hat, in einem einzigen langen Stoß aus. Sie nimmt die Prada-Sonnenbrille mit dem schwarzen Gestell ab und betrachtet sich in dem großen Spiegel an der Wand der Kabine. Das Make-up verdeckt Stress und Müdigkeit, vermag aber keine Freude in ihre Augen zu zaubern. Auf ihrem Gesicht liegt keine Spur von dem überschäumenden Jubel, den die Einladung zur Plattenveröffentlichung des angesagtesten Rappers in ganz Finnland – oder jedes anderen Künstlers – noch vor einigen Jahren ausgelöst hätte. Jetzt ist das vorherrschende Gefühl eher eine unangenehme Nervosität; sie bereut, dass sie vor dem Aufbruch nicht etwas genommen hat, das sie selbstsicherer gemacht hätte: etwas Stärkeres als Sekt. Allerdings wird irgendein Bekannter unter den geladenen Gästen schon dafür sorgen, dass sie bekommt, was sie braucht. Es wird genügen, dass sie den Betreffenden auf die richtige Art ansieht, dann kann sie mit einer aufputschenden Dosis zur Damentoilette gehen.
Lisa wirft im Spiegel einen Blick auf ihren Körper, der in dem beigen Criss-Cross-Kleid von Hervé Léger durchtrainiert und an den richtigen Stellen gerundet aussieht. Ihre äußere Erscheinung ist immerhin in Ordnung. In gewisser Weise ist ja auch alles ganz gut, und sie hat die Situation unter Kontrolle: Sie braucht an diesem Abend nur ein paar hübsche Fotos von sich und der Hauptperson zu machen und vielleicht noch einige Videostorys von anderenVIPs. Wenn man bedenkt, wessen Platte veröffentlicht wird, kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass die absolute Spitzenprominenz von Helsinki anwesend ist.
Lisa hört das Handy in ihrer Handtasche vibrieren. Bestimmt wieder Jason. Der Typ hat schon drei Mal angerufen.Gib’s endlich auf. Ihr Blick wandert vom Spiegel zur digitalen Nummerntafel. Eine rote Vier. Fünf. Sechs.
Der Aufzug summt eine kurze Melodie, dann öffnet sich die Tür. In die Kabine dringen ein dröhnender Bass und ein gewaltiges Stimmengewirr, durchsetzt von Ausrufen und Lachern.
Lisa mustert den roten Teppich vor der Garderobe, auf dem einige Gäste mit Blumensträußen oder Geschenkflaschen stehen.Nobodys, Neverheards. Zum Glück muss ich die nicht kennenlernen.
Der Portier Sahib, den sie schon seit Jahren kennt, sieht sie aus dem Aufzug kommen und nickt ihr unauffällig zu.
Lisa geht an den großen Glaswänden vorbei, die einen Panoramablick über die vom tagelangen Regen nassen Dächer bieten. Im Hintergrund ragt das festlich beleuchtete Hotel Torni über der niedrigen Silhouette von Helsinki auf wie ein kleines Empire State Building. Die Straßenlampen und das Licht, das aus den Fenstern der Gebäude fällt, lassen in der dunklen Stadt, die noch nicht durch eine Schneedecke erhellt wird, alles glitzern.
»Guten Abend«, grüßt der breitschultrige, glatzköpfi